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Badeunfälle

Je heisser der Sommer, desto mehr Unfälle

Abkühlung tut Not in diesen heissen Tagen. Doch jeden Sommer ertrinken Menschen in Seen, Flüssen und Bassins. Bei Unfällen mit Kindern ist meistens eine ungenügende Aufsicht die Ursache.

Damit es beim Spass bleibt, sollten Kinder im und am Wasser beaufsichtigt werden. Symbolbild: Keystone

von Rahel Mösch

Sommer, Sonne, Baden! Die heissen Temperaturen der vergangenen Tage und Wochen lockten zahlreiche Seeländer in die Schwimmbäder, Flüsse und den Bielersee. Dicht an dicht reihten sich die Tücher auf den Badewiesen und auf den Flössen auf dem See war zeitweise kaum noch ein Platz frei. Viele genossen die Erfrischung im, auf und am Wasser. Doch das Vergnügen hat auch eine Schattenseite: Jedes Jahr ertrinken Menschen in Schweizer Gewässern, im letzten Jahr waren es laut der Schweizerischen Lebensrettungs-Gesellschaft (SLRG) 27, ein Jahr vorher fast doppelt so viele: 52. Die tiefe Zahl der Ertrinkungsopfer im Jahr 2014 führt SLRG-Sprecher Philipp Binaghi vor allem auf den verregneten Sommer zurück: «Nässe und Kälte luden kaum zum Baden ein.»

Viele Badeunfälle

Das ist im bisher überdurchschnittlich warmen Juni und Juli 2015 anders: «Je heisser und länger der Sommer, desto mehr Unfälle und Ertrinkungsopfer gibt es leider», sagt Christoph Müller, Berater Sport der Bfu (Beratungsstelle für Unfallverhütung). Im Rekordsommer 2003 gab es deutlich mehr Ertrinkungsfälle als im Schnitt. Die Gefahr, dass die Zahl der Unfälle diesen Sommer weiter steigt, sei da. «In den vergangenen Wochen gab es bereits mehrere Ertrinkungsunfälle.»

In der Schweiz ertrinken im Schnitt fünf Kinder bis 14 Jahre pro Jahr. Über 20 Kinder tragen schwere Verletzungen davon. Bei allen Kinderertrinkungsunfällen war laut Bfu mangelhafte oder fehlende Aufsicht der verantwortlichen Personen die Hauptunfallursache. Allgemein sind laut Bfu 80 Prozent der Ertrinkungsopfer männlich, viele davon Jugendliche und junge Männer, die in Seen oder Flüssen ertrunken sind. «In diesem Alter ‹gluschtet› die Jungen das offene Gewässer», weiss Christoph Müller. «Die Betroffenen sind risikofreudig, überschätzen sich oder meinen, sie müssen sich in der Gruppe beweisen. Man geht auch davon aus, dass Alkohol und Drogen eine bedeutende Rolle spielen.»

In den Filmen schreien Leute laut, die im Wasser in Not sind, oder rudern wie wild mit den Armen. Im richtigen Leben ist das völlig anders: Kleine Kinder gehen lautlos unter, aber auch die meisten Erwachsenen. «In der Regel hört und sieht man nichts», sagt der Bfu-Experte. «Eben schwamm er noch im Fluss und plötzlich war er weg», sei eine oft gehört Aussage.

«Nur eine Chance»

«Unsere Kinder gehen noch nicht alleine an den Bielersee,» sagt der Ipsacher Thomas Schafroth. Ihr zehnjähriger Sohn habe den Wasser-Sicherheits-Check (WSC, siehe unten) erfolgreich absolviert, aber bis jetzt noch nie gefragt, ob er ohne Erwachsene baden gehen dürfe. «Ich kann mir aber gut vorstellen, dass er uns nächsten Sommer fragen wird. Dann werden meine Frau und ich wieder darüber diskutieren.» Ihre drei Kinder dürfen alleine zum Floss schwimmen, es schaut aber immer ein Erwachsener vom Ufer aus zu.

«Im Wasser hat man nur eine Chance und es geht so schnell!», sagt eine Mutter aus Ipsach. Sie lässt deshalb ihre acht- und zehnjährigen Söhne nicht alleine in die Badi oder an den See gehen. Beide Jungs können Schwimmen, worüber sie sehr froh ist. Trotzdem begleiten sie oder ihr Mann die Kinder fast immer aufs Floss, vor allem den Jüngeren.

Sie selber hat vor ein paar Jahren im Bieler Strandbad einen Schreck-Moment miterlebt. «Es war Ende Saison und es gab nicht mehr viele Leute im Strampi. Ich war mit einer Freundin und den Kindern am sandelen, vor uns sass ein Mann, etwa einen Meter vom See entfernt, mit einem Kleinkind. Dieses kroch zum Wasser, wir beobachteten es und schauten, ob der Mann reagiert. Schon schwamm nur noch das Sonnenhütchen auf der Wasseroberfläche, das Kind sank lautlos. Meine Kollegin und ich zogen das Kleine sofort aus dem Wasser. Es ging alles so schnell! Der Mann hat nicht geschlafen, sondern nur kurz ins Leere gestarrt und schon war es passiert!»

Auch im Schwimmbad schaut sie ihren Kindern beim Baden und Springen zu. Vor Kurzem holte sie ihren grösseren Sohn aus dem Wasser, als dieser nach einem Sprung vom Drei-Meter-Turm starke Schmerzen im Rücken hatte.

Ab wann alleine im Wasser?

Christoph Müller sagt, dass sich viele Eltern die Frage stellen würden, ab wann Kinder alleine baden gehen dürfen. «Es gibt keine allgemein gültige Antwort.» Im Kanton Bern ist der WSC, der in der 3. oder 4. Klasse gemacht wird, obligatorisch. Mit dem Check wird getestet, ob sich eine Person nach einem Sturz ins Wasser selber an den Rand oder ans Ufer retten kann. Dieser Ausweis sei jedoch keine Garantie, sagt der Bfu-Experte. «Es ist nicht so, dass Eltern denken dürfen ‹mein Kind hat ja den WSC erfolgreich bestanden, ich muss mir ab jetzt keine Sorgen mehr machen›. Der Test ist ein Minimum an Sicherheit.»

Seine Tipps für Erziehungsberechtigte: Eltern müssen ihren Kindern zutrauen, dass diese allein schwimmen gehen dürfen. Sie müssen wissen, wie gut ihr Nachwuchs schwimmt, mit ihm über die Sicherheit und mögliche Risiken sprechen und mit ihm zusammen vorher den Ort anschauen. «Wenn sie ihrem Kind das Vertrauen geben, es alleine ans Wasser gehen zu lassen, können sie auch eine Gegenleistung fordern: Nämlich dass es sich an die abgemachten Regeln hält», sagt Christoph Müller.

Dem Kind die Gefahren aufzeigen, sei auch eine Investition in die Zukunft, gerade bei Eltern von Jungs, da diese als Jugendliche überdurchschnittlich oft von Unfällen betroffen sind. «Die Baderegeln der SLRG einhalten und sich risikobewusst am Wasser bewegen: Wenn Eltern das ihren Jungs mitgeben können, ist schon ein grosser Teil geschafft. Und vielleicht hilft es ja, darauf hinzuweisen, dass der leere Platz des Nachbarn auf der Schulbank wirklich kein schöner Anblick ist», sagt Philipp Binaghi, Mediensprecher der SLRG.

In überwachten Schwimmbädern ist die Sicherheit sehr hoch. Doch: «Badis sind keine Kinderhorte und Bademeister keine Kindergärtner», sagt Philipp Binaghi. Der Bfu-Experte Christoph Müller ergänzt: «Der Bademeister kann nicht alle Kinder überwachen. Er ist für Notsituationen zuständig.»

In offenen Gewässern

Anders sieht die Gefahr in offenen Gewässern aus, in Flüssen und Seen ertrinken etwa gleich viele Menschen. Es gibt Strömungen, kalte Wassermassen, das Wetter kann plötzlich ändern, und Flussschwimmer können zum Beispiel nach Gewittern durch Treibgut in Gefahr geraten. «Der WSC wird in einem Pool durchgeführt. Der Pool unterscheidet sich aber von einem See oder Fluss und bedingt ganz andere Voraussetzungen. Darum sollten aus unserer Sicht Kinder nicht alleine an den See», sagt Philipp Binaghi von der SLRG.

Christoph Müller rät, in offenen Gewässern nie alleine zu Schwimmen und mindestens eine gute Schwimmhilfe mitzunehmen. «Jugendliche wollen im Fluss keine Schwimmweste anziehen. Es gibt wasserdichte Kleidersäcke, die man mitführen kann. Diese geben bei Ermüdung Auftrieb. Aber echte Sicherheit gewährt nur eine Rettungsweste. Man sollte über persönlichen Schutz und allfällige Rettungsmassnahmen vor dem Baden in Flüssen oder in Seen nachdenken.»

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So baden kleine Kinder sicher

Lassen Sie kleine Kinder nie unbeaufsichtigt im und am Wasser. Bis zum Alter von etwa 15 Monaten kann ein Kind bereits in geringer Wassertiefe innerhalb von 20 Sekunden ertrinken, wenn das Gesicht unter Wasser gerät. Kinder haben einen anderen Körperschwerpunkt, sie sinken lautlos und rasch auf den Grund. Bis etwa zum dritten Lebensjahr kann ein Kind sein Gesicht nicht dauernd über Wasser halten, weil sein Kopf im Vergleich zum Körper zu schwer und seine Nackenmuskulatur zu schwach ist.

Deshalb brauchen kleine Kinder die volle Aufmerksamkeit der Begleitpersonen und sollten in Griffnähe überwacht werden.

Entleeren Sie mobile Bassins nach Gebrauch oder stellen Sie sicher, dass Kinder nicht unbeaufsichtigt ins Wasser gelangen können. Im Schwimmbad gilt: Kinder, die noch nicht schwimmen können, dürfen nicht ins tiefe Becken, auch mit Schwimmring oder «Flügeli» nicht. Schwimmhilfen bieten keine ausreichende Sicherheit. Bademeister sind keine Babysitter. Nie unterzuckert, also mit leerem Magen schwimmen gehen. Grossmutters Weisheit «nach dem Essen zwei Stunden warten» gilt nicht mehr. ram

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Der Wasser-Sicherheits-Check

Im Kanton Bern ist der Wasser-Sicherheits-Check (WSC) obligatorisch und wird durch die Schule durchgeführt. Alle Schülerinnen und Schüler müssen den WSC bis spätestens zum Ende des 4. Schuljahres absolvieren. Mit dem WSC wird getestet, ob sich eine Person nach einem Sturz ins Wasser selber an den Rand oder ans Ufer retten kann. Wer den WSC bestehen will, muss folgende Aufgaben hintereinander und ohne Unterbrechung lösen: Rolle/purzeln vom Rand in tiefes Wasser; 1 Minute an Ort über Wasser halten; 50 Meter schwimmen und aussteigen.

Kinder, die den WSC erfolgreich absolviert haben, bekommen vom Organisator einen Ausweis. Das Kind ist damit genügend wasserkompetent, um ins – beaufsichtigte – tiefe Wasser zu dürfen. ram

 

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