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Ligerz

Koch soll Kirche retten

In der Kirche Ligerz finden immer weniger Hochzeiten statt. Um die Zukunft zu sichern, hat Kirchgemeinderatspräsident 
Hans Jürg Ritter gemeinsam mit Starkoch Anton Mosimann ein kulinarisches Projekt lanciert. Heute stellen sie es der Öffentlichkeit vor.

Hans Jürg Ritter hat Pläne anfertigen lassen, wie sich die Kirche Ligerz zum temporären Restaurant umnutzen lässt. Bild: Nico Kobel

Carmen Stalder

Es gibt wohl kaum einen schöneren Ort am Bielersee: Mächtig thront die Kirche Ligerz auf einer Terrasse, ringsherum die Rebberge und weit unten der blau leuchtende See. Der Blick schweift zur 
St. Petersinsel und weiter bis zu den schneebedeckten Alpengipfeln. Um die Idylle komplett zu machen, fehlt nur noch ein frisch vermähltes Brautpaar, das strahlend aus der Kirche schreitet. Stattdessen steht Hans Jürg Ritter auf der Terrasse, Kirchgemeinderatspräsident der Kirche Pilgerweg Bielersee. «Ein wunderschöner Ort», sagt er. Doch auf seinem Gesicht liegen tiefe Sorgenfalten. Denn dem «Ligerzer Chiuchli» geht es nicht so gut, wie man denken würde.

Seit drei, vier Jahren nehmen die Anfragen für Hochzeiten ab, wie Ritter sagt. «Die kommende Saison ist noch nicht einmal ausgebucht.» Er schaut fast etwas ungläubig, wenn er davon erzählt. Schliesslich hat es die Kirche schon in manchen Ranglisten unter die schönsten Hochzeitsorte der Schweiz geschafft. Und die Brautpaare reisen teilweise von weit her an, um sich hier vermählen zu lassen. Der Ligerzer vermutet, dass sich Brautpaare heute immer mehr für alternative Trauungen entscheiden und nicht mehr traditionell in einer Kirche heiraten wollen.

Noch ist die Situation nicht dramatisch. Doch Ritter macht sich Sorgen um die Zukunft, denn er ist angewiesen auf das Geld, das durch die Hochzeiten in die Kasse der Kirchgemeinde fliesst. Nun kam ihm jedoch eine Idee, die der Kirche neuen Schwung verleihen könnte. Eine Idee, welche die Kirche wieder ins Bewusstsein der Menschen rücken soll. Die Idee, die kam ihm aber nicht etwa beim Blick in die leere Kirche. Nein, sie kam ihm bei einem Essen in London.

Warum nicht am Bielersee?
In London befindet sich das «Belfry», ein exklusives Restaurant, das Klubmitgliedern vorbehalten ist, in dem sich seit 1988 vorzüglich speisen lässt – und das vom gebürtigen Seeländer Starkoch Anton Mosimann gegründet wurde. Das Restaurant befindet sich in einer vormaligen presbyterianischen Kirche, der Esssaal ist im Kirchenschiff untergebracht, der Orgelraum dient als Weinkeller. Als Hans Jürg Ritter, der es dank einer Einladung an diesen prestigeträchtigen Ort geschafft hatte, sich einen Schluck des von Mosimann offerierten Champagners genehmigte, machte es plötzlich Klick. Wenn Mosimann es schafft, aus einer Londoner Kirche einen angesagten Gourmet-Tempel zu machen – warum sollte dann nicht dasselbe auch am Bielersee möglich sein?

Ritter reiste zurück in die Schweiz. Doch die Idee, die hatte sich in seinem Kopf festgesetzt und liess sich nicht mehr vertreiben. Wenn er heute in der Kirche steht, dann sieht er vor seinen Augen weiss gedeckte Tische, mit Kerzenständern und bauchigen Gläsern beladen, darum herum Gäste, die für ein gediegenes Abendessen à la Mosimann angereist sind. Den Koch sieht Ritter vorne im Chor, wo eine mobile Küche aufgebaut ist, mit allem Drum und Dran ausgestattet, das ein gestandener Gastronom so benötigt.

Ritter kramt einen Plan hervor, den er eigens hat anfertigen lassen. Der Grundriss der Kirche ist darauf zu sehen, nur dass statt den Kirchenbänken, die temporär in die Turmkapelle verschoben würden, Tische und Stühle zu sehen sind. Im Chor vorne ist ein Herd erkennbar, dazu eine grosse Arbeitsfläche und ein Spülbecken. Wenn Ritter von seiner Idee spricht, wird klar, dass sie mittlerweile viel mehr als das ist – sie ist zu einem Projekt geworden.

Mosimann hat in Ligerz geheiratet
Vor ein paar Monaten hat sich Ritter einen Ruck gegeben und Anton Mosimann kontaktiert. «Er war sehr interessiert», sagt Ritter. Über die Region musste er dem 72-jährigen Starkoch nicht viel erzählen: Mosimann wuchs als Sohn eines Wirte-Ehepaares in Nidau auf und absolvierte eine Kochlehre im Restaurant Bären in Twann. Und: Das Ja-Wort gab er seiner Frau im «Ligerzer Chiuchli».

Mosimann lebt mittlerweile wieder in der Schweiz, sein Londoner Lokal hat er den beiden Söhnen übergeben. Das heisst aber noch lange nicht, dass er kürzertreten will: Die Aussicht, in der alten Heimat ein neues Projekt aufzugleisen, habe ihm sofort gefallen, sagt Mosimann dem BT am Telefon. Und so habe er in den vergangenen Wochen viele lange Gespräche mit Ritter geführt. Die beiden haben über Möglichkeiten und Herausforderungen gesprochen, über skeptische Denkmalpfleger und kritische Dorfbewohner, über Inneneinrichtung und Menüplanung.

Und nun ist es so weit: Heute stattet Anton Mosimann der Kirche einen Besuch ab. Dorfbewohnern und anderen Interessierten stellt er gemeinsam mit Ritter die Zukunftspläne für die Kirche vor. Bei einem Glas Weisswein wollen die beiden auch kritische Besucher davon überzeugen, dass sie einen Weg für eine erfolgreiche Zukunft der Kirche gefunden haben (siehe Infobox).

Von der Kirche zum Restaurant
Doch was ist konkret angedacht? Kurz zusammengefasst: Die Kirche Ligerz soll sporadisch zum Gourmet-Tempel werden. Hochzeiten finden weiterhin wie gewohnt statt. Doch an ausgewählten Daten wird die Kirche in ein Restaurant verwandelt und eine begrenzte Anzahl an Gästen – Platz gibt es für maximal 50 Personen – kommt in den Genuss von Mosimanns Kreationen. Möglich sind sowohl Reservationen für Gruppen als auch Abende, die allen kulinarisch Interessierten offen stehen.

Auf der Karte werden keine ausgeklügelten 10-Gang-Menüs stehen, sondern einfache Gerichte aus hochwertigen lokalen Zutaten. «Eine Plattform für Produkte aus der Region», schwebt Mosimann vor Augen. Geräucherte Forelle aus dem Bielersee, Bio-Rindsfilet aus Sutz auf knackigem Gemüse und Frühkartoffeln aus dem Grossen Moos, Weinschaumcreme aus einem lokalen Tropfen – etwa so könnte ein Menü aussehen. Weine werden nur solche aus der Umgebung ausgeschenkt.

Denkmalpflege ist vorsichtig
Bei all den enthusiastischen Ideen ist den beiden Protagonisten bewusst, dass ihnen noch einige Herausforderungen bevorstehen. Da gilt es einmal, regelmässige Kirchengänger davon zu überzeugen, dass ihr «Chiuchli» nicht zu Schaden kommt. Den Restaurants im Dorf muss die Angst vor einer drohenden Konkurrenz genommen werden. Dann fehlt noch das definitive Einverständnis der kantonalen Denkmalpflege, mit der Ritter bereits vor Ort war. «Wir haben es hier mit einem hervorragenden Beispiel einer spätgotischen Kirche zu tun, die sich zudem in einem bemerkenswert guten Zustand befindet», sagt Jürg Schweizer, Denkmalpfleger des Kantons Bern. Bauliche Veränderungen seien aus diesem Grund kaum möglich. Aber: «Einer temporären Umnutzung zu einem Restaurant stehen wir grundsätzlich offen gegenüber», so Schweizer.

Ein weiterer kritischer Punkt betrifft die Anfahrt zur Kirche. Die Strasse ist steil und eng, Parkplätze gibt es nur eine Handvoll. Ritter sieht deshalb vor, dass die Gäste mit dem Vinifuni anreisen. Bei seinem Elan wenig verwunderlich, hat er die Betreiber der Standseilbahn bereits auf das Projekt angesprochen. «Es sollte machbar sein, den Takt an ausgewählten Abenden zu erhöhen», heisst es bei der zuständigen Aare Seeland mobil.

Hans Jürg Ritter steht nun wieder auf der Terrasse, dieses Mal mit einem Lächeln auf den Lippen. Der bisherige Projektverlauf hat ihn optimistisch gestimmt. Läuft alles wie geplant, finden in einem Jahr die ersten Gastro-Events in der Kirche Ligerz statt. Dass es bis dahin noch ein weiter Weg ist, scheint ihn nicht abzuschrecken.

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Apéro – die Initianten laden ein
- Anton Mosimann und Hans Jürg Ritter
laden heute alle Anwohner und sonstigen Interessierten zu einem Apéro in Ligerz ein.
- Vor Ort präsentieren sie ihr Projekt und stellen sich kritischen Fragen.
- Treffpunkt ist heute um 11.30 Uhr bei der Kirche Ligerz. cst

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