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Gesellschaft

Liebe in Zeiten des Coronavirus

Für die einen sind die derzeit geltenden Abstand-Regeln eine Qual, andere sitzen zu nah aufeinader und wieder andere trennt gar eine Staatsgrenze: Beziehungstechnisch ist dieser Ausnahmezustand für die meisten Menschen eine grosse Herausforderung.

Schön die Zwei-Meter-Regel einhalten beim Daten! Symbolbild: Matthias Käser

von Andrea Butorin

Die staatlich verordnete Trennung


Silke Setzepfandt sitzt in der Tinte. Eigentlich hätte sie am Mittwoch zu ihrem Partner Jean-Claude Dobler nach Biel ziehen wollen. Endgültig. Ihre Stelle als Teamleiterin in der Altenpflege hat sie ebenso gekündigt wie ihre Wohnung in der Nähe von Köln. Diese muss sie nächsten Dienstag, dem als Umzugstag populären 31. März, fristgemäss verlassen. Letztes Jahr noch zögerte sie, definitiv nach Biel zu ziehen. Da war noch die Tochter, eben erst 18 und flügge geworden, da waren leise Zweifel vor dem endgültigen Schritt. Doch jetzt wäre sie soweit. «Ganz klar wurde es für mich, nachdem Jean-Claude letzten Dezember schwer erkrankte», sagt die 45-Jährige. Der Plan sah so aus: Erst mal ankommen und sich in der dreimonatigen Frist, in der das Touristenvisum gilt, in Ruhe nach einem Job umsehen. Doch jetzt darf Silke Setzepfandt nicht mehr in die Schweiz einreisen – das Coronavirus machte ihre Pläne zunichte.
Noch vor zwei Wochen verweilte Silke Setzepfandt in Biel. Weil sie krank war, sagte ihr Partner: «Bleib doch gleich hier». Doch sie erwiderte, sie müsse noch die Wohnung auflösen. Als sich die Situation mit Corona zuspitzte, annullierte sie den Zügelwagen und beschloss, erst mal bloss mit den allerwichtigsten Sachen einzureisen. Vieles hat sie bereits verschenkt, anderes lagert sie ein. Letzte Woche rief sie bei der Eidgenössischen Zollverwaltung an, um sich abzusichern. Und erfuhr:Trotz einer Wohnraumbestätigung aus Biel, der Abmeldung aus Deutschland und den Krankenberichten ihres Partners sei nichts zu machen. Ohne gültige Aufenthalts- oder Arbeitsbewilligung kommt derzeit niemand mehr ins Land. Auch das Deutsche Auswärtige Amt, die Schweizer Botschaft und das Schweizer Staatssekretariat für Migration (SEM) konnten nicht helfen.
«Als ich mit Jean-Claude telefonierte, haben wir beide geweint», erzählt Silke Setzepfandt. Dann setzte sie alle Hebel in Bewegung, um in der Schweiz rasch eine Stelle zu finden. «Ich weiss, dass im Moment jede helfende Hand gefragt ist.» Ihr Abschluss als Altenpflegerin wird in der Schweiz seit 2014 nicht mehr als Fachfrau Betreuung anerkannt. «Doch ich bin bereit, den Anerkennungsprozess zu durchlaufen und erst einmal als Pflegehilfskraft zu arbeiten», sagt sie, trotz 27 Jahren Berufserfahrung, auch in einer Leitungsposition.
Per Whatsapp hat sie nun die Bestätigung erhalten, dass sie sich in einem Betrieb vorstellen kann, sobald sie in der Schweiz ist. Deshalb versucht sie am Montag auf gut Glück die Einreise. «Beim SEM sagten sie mir, vielleicht hätte ich Glück und die Zollbeamten erbarmen sich meiner.»
Kennengelernt haben sich Silke Setzepfandt und Jean-Claude Dobler in einer Facebookgruppe. Im Sommer 2017 trafen sie sich erstmals in Konstanz. «Er hat meine Hand genommen und nicht mehr losgelassen», sagt sie. «Jetzt möchte ich endlich bei meinem Schatz sein.»
Doch hat sie einen Plan B, falls die Einreise misslingt? Eine WG hat ihr übergangsweise ein Zimmer angeboten. «Aber ich bin auf Rebellion aus. Wenn es jetzt nicht klappt, mache ich einen Sitzstreik am Bahnhof!»


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Schweizerisch-Deutsche Beziehungen sind nicht selten. Die Bielerin Larissa* musste sich letzte Woche von ihrem in Deutschland lebenden Partner verabschieden. Er war bei ihr zu Besuch, als die Einreisesperre verhängt wurde, und musste zurück zur Arbeit. Normalerweise sieht sich das Paar jedes Wochenende. «Erst dachten wir über eine illegale Einreise nach», verrät sie, doch die drohenden drastischen Strafen hätten sie zur Vernunft gebracht. «Jetzt heisst es leiden.»

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Josef* lebt in Zürich und führt seit fünf Jahren eine Fernbeziehung mit Claus*. «Die räumliche Trennung sind wir zwar gewohnt, aber normalerweise dauert sie nie länger als eine Woche. Es bereitet uns Sorgen, dass ein Ende der Massnahmen nicht absehbar ist», sagt Josef.

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Alle vorgestellten Paare nutzen nun rege die modernen Kommunikationsmittel: Via Videotelefonie essen sie gemeinsam oder tauschen sich über den Alltag aus. «Das gemeinsame Osterwochenende fällt mit Sicherheit ins Wasser», sagt Josef, «aber wenn wir uns dann endlich wiedersehen, wird es umso schöner.»



Der Roadtrip des Piratenpaars


Der Seeländer Ronny Sommer segelt seit mehreren Jahren über die Weltmeere. Erst als Chefmechaniker eines Jugendschiffs. Als dieses den Betrieb einstellte, kaufte der 35-Jährige das Schiff kurzerhand, um es auf Vordermann zu bringen. Jetzt ist es ein Piratenschiff namens Buona Onda, auf dem Abenteuerlustige mit Ronny und seiner Freundin Taraneh der Freiheit der Meere frönen dürfen.
Aktuell ist das Schiff in Portugal stationiert. Ronny Sommer musste jüngst nach Panama City, um Papierkram für das Schiff zu erledigen. Dann kam die Coronakrise, und mit ihr die Grenzschliessungen. Immer mehr Touristen strandeten im Hostel. «Ihre Angst war fast unerträglich, und auch ich hatte noch keinen Plan, wie ich zurück nach Portugal komme», berichtet er. Doch er hatte Glück und fand eine Rückreisemöglichkeit via Panama, Kuba und Spanien.
Ein Problem blieb: Die Grenze zwischen Portugal und Spanien wurde gerade geschlossen. «Da hegte ich den naiven Plan, durch Spanien zu trampen.» Seine «Piratin und Liebe» aber entschied, im portugiesischen Faro ein Auto zu mieten und trotz Verbots im Mietvertrag das Land zu verlassen, um Ronny Sommer abzuholen. An der Grenze musste sie einen Landesverweis unterzeichnen, und der Polizei versicherte sie, nach Deutschland zu fahren.
«Welch ein Gefühl, als am Flughafen beim Arrival die Türe aufging und sie schon hüpfend auf mich wartete», sagt Sommer. Auf der Fahrt in Richtung Grenze: keine Autos weit und breit, keine offenen Raststätten, keine Toiletten. «Wir wurden fast paranoid.» An der Grenze erwarteten sie grosse Schilder, die Ausländer auf ein striktes Einreiseverbot hinwiesen. Dank der mitgebrachten Dokumente konnte Ronny Sommer beweisen, dass sein Schiff legal in Portugal steht und dass es das Zuhause des Paares darstellt.
«Glücklich und müde kamen wir nach dem neunstündigen (ich) respektive 22-stündigen (Taraneh) Roadtrip bei unserem Schiff an», beschreibt Ronny Sommer seine persönliche Corona-Liebesgeschichte. Wie es nun weitergeht? Um einen nötigen Werftaufenthalt stemmen zu können, sucht das Paar Sponsoren. Doch derzeit steht sowieso alles still. «Seit gestern haben wir die Heizung ausgeschaltet und duschen nun kalt, um Diesel zu sparen. Piratenleben halt!»



Die allzu grosse Nähe


Die grosse Mehrheit der Bevölkerung lebt nicht auf einem Schiff, sondern in einer Wohnung. Weil viele derzeit Homeoffice machen und das Mantra der Stunde «Bleibt zuhause!» lautet, kann es daheim eng werden.

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Barbara* hat eine knappe halbe Stunde Zeit, um dem BT ihre Situation zu schildern, dann kommen der Partner und die zwei kleinen Kinder vom Spielplatz zurück. Überfordert, gestresst und manchmal auch wütend, so beschreibt Barbara ihre derzeitige Stimmungslage. Die gebürtige Seeländerin lebt in Zürich. Ihr Partner Tobias* hat ein 80-Prozent-Pensum inne, sie ist zwei Tage die Woche an der Uni und schreibt derzeit ihre Masterarbeit. Sie schaut zwei Tage zu den Kindern, der Papi einen und an zwei weiteren Tagen sind sie in der Krippe. So war es vor Corona. Jetzt arbeitet Tobias* im Homeoffice, die Uni und die Bibliotheken dagegen sind zu.
«Wir machen immer gute Pläne für den nächsten Tag, aber sie klappen nie», sagt Barbara. Sei sie am Arbeiten, dann würden die Kinder, die gerade sehr anhänglich seien, trotzdem immer an ihren Beinen kleben. Ausserdem lägen die ganzen Betreuungsaufgaben wie Kinder füttern (und zwar alle zwei Stunden), ins Bett legen oder anziehen «wie selbstverständlich» an ihr. Und so würden regelmässig aus ihren geplanten zwei Arbeitsstunden anderthalb, während aus seinen zwei Arbeitsstunden vier würden. Sie sei wütend geworden, als er nach zwei Tagen im Coronamodus sagte: «Ach, das läuft ja super, eigentlich bräuchten wir ja gar keine Krippe.»
Die Krippe als Entlastung fällt weg, weil die klar kommuniziert habe, dass sie nur im «äussersten Notfall» zur Verfügung stehe, und Barbara sich nicht als Härtefall bezeichnen mag. «Auch wenn es natürlich zulasten meiner beruflichen Perspektiven geht, wenn ich den Master jetzt verschiebe.» Und sie zudem länger Studiengebühren bezahlen müsse. Familienmitglieder zum Hüten anzufragen traue man sich in der aktuellen Situation nicht. Und weil Barbara und Tobias erst vor Kurzem umgezogen sind, konnten sie noch keine genügend enge Beziehung zur Nachbarschaft bilden, sodass sie auf sich allein gestellt sind.  
«Es ist nicht so, dass wir mehr streiten als vorher», stellt Barbara klar. Aber sie müsse jeden Tag von Neuem ihre Bedürfnisse einfordern. Dass beispielsweise der Papitag auch wirklich ein Papitag ist. Positiv bewertet sie, «dass er sieht, wie schwierig und anstrengend es ist, die ganze Zeit abrufbereit zu sein.» Und dass man sehe, wie sehr man einander brauche.

Zuhause kann es in diesen Tagen rasch eng werden. Symbolbild: Matthias Käser

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Tanja* lebt mit ihrem Partner und dem gemeinsamen Sohn in Frankreich. Hier verschärfte der Staat am Montag die Ausgangssperre – die Bürgerinnen und Bürger dürfen sich nur noch im Umkreis eines Kilometers bewegen. «Obwohl wir ein Haus mit Garten haben, ist die Lage zwischen mir und meinem Freund bereits ziemlich angespannt», sagt die gebürtige Seeländerin. Weil ihr Arbeitspensum kleiner ist, erhielt er das Büro und sie den unergonomischen Esstisch zugeteilt. Die Kinderbetreuung sei auch automatisch gänzlich ihr zugefallen. Seit mehreren Nächten schlafe das Paar nun getrennt. «Nicht wegen Corona, sondern weil mich sein ständiges Genörgel wegen des nicht perfekt geführten Haushalts und sein exzessives Computerspielen bis spätabends nervt», sagt sie. Dank dem, dass ihr Sohn seit Corona akzeptiere, alleine zu schlafen, habe sie abends wenigstens zwei Stunden am Tag für sich, schliesst sie resigniert.



Das Glück der Jungverheirateten


Überhaupt keinen Homeoffice-Blues kennen dagegen BT-Fotograf Matthias Käser und seine Frau Annika. Beide sind derzeit öfter zuhause als vorher – Matthias Käser hat weniger Bildaufträge als sonst, und Annika Käser unterrichtet ihre Schüler via Homeschooling. «Wir haben schon vorher viel Zeit zusammen verbracht», sagt Matthias Käser. Deshalb stelle die aktuelle Situation kein Problem dar.
Das seit knapp drei Jahren verheiratete Paar geniesst es, bei schönem Wetter im Garten zu werken und Arbeiten zu erledigen, die liegen geblieben sind. Sie vertiefen sich in Neues – Annika Käser startete einen Instagram-Foodblog (siehe Bilderbogen auf Seite 24), während sich ihr Mann der analogen Fotografie widmet. Auch Gesellschaftsspiele seien in den letzten Tagen wieder mal auf den Tisch gekommen. Diskussionsstoff biete die aktuelle Lage mehr als genug, und auch über die neusten Netflix-Serien tauschen sie sich gern aus. Kommt es doch einmal zu Streit, zieht sich Käser in sein Büro zurück. «Das ist bisher erst einmal vorgekommen», sagt er.



Der Datingwillige

Stefan* hatte vor zwei Wochen ein Corona-Date: Der Abstand war (allzu) gross. Symbolbild: Matthias Käser


Eigentlich wäre ja Frühling, eigentlich würde sich Veranstaltung an Veranstaltung reihen, eigentlich würde das Leben draussen langsam wieder aktiviert, was nicht zuletzt paarungswilligen Singles zugutekäme. Wie gehen die mit der Situation um?
Am Tag, als der Bundesrat die «besondere Lage» verkündete, hatte Stefan* ein Rendez-vous, das er heute als Corona-Date bezeichnet. Stefan ist auf der Single-Plattform Tinder aktiv. Er nehme ab und zu die Rolle eines «Wochenendvergnügens» ein, sei es von wie er geschiedenen Frauen oder von Frauen, die einen Ausbruch aus ihrer unglücklichen Beziehung suchen. Nicht dass das immer so bleiben soll, aber im Moment passt es.
Beim «Corona-Date» irritierte ihn, dass die Frau permanent auf (allzu grosser) Distanz war. Bei der Begrüssung, beim gemeinsamen Spaziergang, beim Café-Besuch, beim Verabschieden: «Ich konnte nicht einschätzen, ob das an mir lag oder an den Corona-Verhaltensregeln», sagt Stefan. Denn normalerweise sei die Stimmung beim ersten Treffen vertrauter, wenn man sich schon eine Weile lang hin- und hergeschrieben habe.
Eine andere Frau, mit der er eine lose (und betreffend der anderen Dates transparente) Beziehung führt, habe ihm einerseits zu verstehen gegeben, dass wegen Corona vorerst keine Treffen mehr stattfinden können. Doch jetzt plötzlich habe sie signalisiert, dass sie ihn unbedingt sehen wolle. «Vielleicht löst das eigentlich herrschende Kontaktverbot diese Sehnsucht aus», sinniert Stefan.
«Unterdessen habe ich ein schlechtes Gefühl, mich überhaupt noch zu verabreden», sagt er weiter. Vor zwei Wochen, beim «Corona-Date», habe er das noch lockerer gesehen. Jetzt laufe auch auf Tinder nichts mehr. Aber: «Langfristig ganz ohne Berührungen zu sein, das kann ich nicht, und das will ich nicht.»
*Namen der Redaktion bekannt.

 

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Corona und die Datingplattformen

Bei der Datingplattform Parship wurde seit dem Ausbruch der Coronakrise keine klare Veränderung bei den Registrierungen oder der Verweildauer der Kundschaft festgestellt – weder in der Schweiz, noch in den umliegenden Ländern, heisst es bei der Medienstelle.
Anders und ausführlicher beantwortet die Datingplattform Tinder die Anfrage des BT: «Die Anzahl täglicher Nachrichten sind im Vergleich zur Vorwoche um bis zu 25 Prozent gestiegen (europaweiter Trend)», schreibt Natalja Neumeister von Tinder. «Wir konnten ausserdem beobachten, dass sich die durchschnittliche Gesprächsdauer im Vergleich zum Februar um 10 bis 30 Prozent erhöht hat.» Das sei speziell in besonders stark betroffenen Gegenden wie Seoul, Mailand oder New York City zu beobachten.
«Die beliebtesten Begriffe in der Tinder-Bio der Mitglieder sind: stay home, be safe, social distancing, wasch deine Hände», so Neumeister. Die Plattform bitte ihre Mitglieder ausserdem mit Nachdruck, zuhause zu bleiben und statt persönlicher Treffen auf Online-Aktivitäten auszuweichen. Den Mitgliedern werde nun kostenlos die Passport-Funktion zur Verfügung gestellt, dank derer man mit jedem und überall auf der Welt in Kontakt treten kann.

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Corona und die Sexualität


Eine Ansteckung mit dem neuen Coronavirus kann erfolgen, wenn man zu einer erkrankten Person länger als 15 Minuten weniger als zwei Meter Abstand hält. Sie erfolgt über Tröpfchen oder via Hände.
Das Bundesamt für Gesundheit geht in seinen Empfehlungen nicht explizit auf die Sexualität ein. Anders das New Yorker Gesundheitsamt, das einen Safer-Sex-Guide veröffentlichte.
Darin heisst es: «Du bist deinsicherster Sexualpartner» – Masturbation wird explizit empfohlen. Weiter sind sexuelle Beziehungen mit Personen, mit denen man zusammenlebt, in Ordnung. Beziehungen mit Menschen ausserhalb des eigenen Haushalts seien dagegen zu vermeiden.
Küssen und Oralverkehr gelten als besonders risikoreiche Handlungen. In Sperma und Vaginalflüssigkeit wurde Covid-19 bislang noch nicht nachgewiesen.

 

Auch im Bett sollte man auf Nummer sicher gehen. Symbolbild: Matthias Käser

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