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Aarberg

Noch einmal durchstarten

Um Sozialhilfebezügern bessere Möglichkeiten zu bieten, im Arbeitsmarkt wieder Fuss zu fassen, hat der Sozialverband Aarberg begonnen, im lokalen Gewerbe Praktika anzubieten.

Der Aarberger Gemeinderat Peter Ryser (rechts) spricht mit dem Chefbadmeister Markus Schwab (links) über den Arbeitseinsatz des Praktikanten. Peter Samuel Jaggi

Peter Staub

«Ich wollte schon früher direkt mit dem Sozialdienst von Aarberg zusammenarbeiten», sagt Markus Schwab, der seit vierzehn Jahren im Schwimmbad Aarberg tätig ist, davon die letzten acht Jahre als Chefbadmeister.

Aber damals hatte niemand daran Interesse. Heute versteht niemand mehr, warum man die Idee nicht früher realisierte. Denn nun sind alle Beteiligten mit den ersten Versuchen zufrieden, Sozialhilfebezüger in Aarberg wieder in den Arbeitsprozess zu integrieren.

Als Judith Schweiss vor gut einem Jahr die Leitung der Sozialabteilung der Gemeinde Aarberg übernahm, verhalf sie der alten Idee zum Durchbruch. Bei ihrem Chef Peter Ryser (SVP), der als Gemeinderat dem Resssort Soziales vorsteht, fand sie Unterstützung. 

Weil der Kanton die Sozialhilfe kürzte und aus der Erkenntnis, dass es Sozialhilfebezüger um so schwieriger haben, wieder im Arbeitsmarkt Fuss zu fassen, je länger sie von der Sozialhilfe gelebt haben, habe ihn die Idee überzeugt, sagt Ryser.

So startete die eigenständige Arbeitsintegration der Sozialhilfe Aarberg, zu der auch die Gemeinden Bargen, Bühl, Hermrigen, Kallnach, Merzligen und Walperswil gehören, im letzten Sommer mit einem ersten Praktikum.

Gewerbe zeigt Interesse
Das Ziel des Konzepts war es, möglichst schnell Arbeitgeber für das Projekt zu gewinnen, sagt Ryser. Deshalb habe man die grösseren Betriebe in und um Aarberg angeschrieben und auch in den Gemeindebetrieben nachgefragt, ob sie Praktikumsplätze für Menschen hätten, die von der Sozialhilfe leben und einer Arbeit nachgehen möchten.

Das Feedback sei sehr positiv gewesen, sagt Schweiss. Sie besuchte anschliessend die Leitungen dieser Unternehmen, um sie persönlich über alle Fragen rund um eine solche Anstellung zu informieren. Die Betriebe signalisierten, dass sie an einer Zusammenarbeit interessiert seien und sich melden würden, wenn sie konkrete Arbeiten anbieten können.

An der Hauptversammlung des Gewerbevereins Aarberg und Umgebung äusserten spontan fünf Betriebe konkretes Interesse für Praktikanten an, sagt Ryser. Unterdessen sind es gemäss Schweiss neun Betriebe, die sie in konkreten Fällen anfragen kann.

Bisher kam das Konzept, das sich bewusst nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung zu bestehenden Integrationsangeboten versteht, in vier Fällen zum Einsatz. Das tönt nach wenig. Schweiss aber relativiert. Von den rund hundert Klienten, die in Aarberg betreut werden, passe ihr Konzept bloss etwa für rund zehn Personen.

Der Erste im Schwimmbad
Einer dieser Klienten ist Kurt Brunner* (siehe auch Zweittext). Er arbeitet seit Februar jeweils am Morgen im Schwimmbad Aarberg. «Er habe es sehr gut getroffen», sagt Brunner, der zum Beispiel den Rasen mäht oder kleinere Reparaturen erledigt. Nur als Hilfsbademeister arbeite er nicht. Die Arbeit sage ihm zu und das junge Team habe ihn gut aufgenommen.

Er merke schnell, ob jemand arbeiten und etwas lernen will, sagt sein Chef Schwab, der seit zehn Jahren auch Praktikanten der GAD-Stiftung beschäftigt. Brunner habe ihn auf Anhieb überzeugt. Normalerweise sei Brunner noch vor ihm an der Arbeit, die morgens um sieben Uhr beginnt.

Schwab weist darauf hin, dass man in der Badi quasi in der Öffentlichkeit arbeite. «Die Leute schauen uns auf die Finger.»

Daraus könnte sich im besten Fall auch für Brunner eine Perspektive abzeichnen, sagt Schwab. Wenn ein potenzieller Arbeitgeber sehe, wie Brunner arbeite, könnte sich daraus ein konkretes Stellenangebot entwickeln, hofft der Badmeister.

Falls ein Unternehmen Brunner eine Teilzeitstelle anböte, könnte sein Vertrag rasch aufgelöst werden, sagt Schweiss. Für Brunner ist es sowieso klar, dass er gern noch einmal an einer bezahlten Stelle durchstarten würde.

Hoffnung auf Stellenangebot
Aufgrund seiner Erfahrung mit Praktika für Sozialhilfeempfänger weiss Schwab, dass nicht alle so gut arbeiten wie Brunner. «Einer ist gerade mal einen Tag geblieben», sagt er. Dennoch findet er das neue Angebot der Sozialhilfe Aarberg «super».

Nun hoffen Schweiss und Brunner, dass ihnen die Publizität dienlich sein wird. In Form von neuen Angeboten für Praktikastellen oder sogar einem konkreten Stellenangebot.     

Kontakt: j.schweiss@aarberg.ch


Typischer Fall mit ungewöhnlicher Biografie

Wenn von Sozialhilfebezügern die Rede ist, werden gerne Klischees und Vorurteile kolportiert. Das seien arbeitsscheue Ausländer, drogensüchtige Aussenseiter oder alleinerziehende Mütter ohne abgeschlossene Ausbildung, wird beispielsweise herumgeboten.

Unter den rund hundert Sozialhilfebezügern, die im Sozialamt Aarberg betreut werden, gibt es auch solche Fälle. Diese sind aber nicht die Regel. Die Biografie von Kurt Brunner* zeigt, wie einfach man plötzlich zu jenen gehört, die niemand mehr haben will.

Der 55-jährige Brunner machte einen aufgeweckten Eindruck, als er gestern kurz vor Mittag im Sozialamt von Aarberg am Tisch sass. Er freute sich über das Lob, das sein aktueller Chef aussprach. Denn Brunner sei nicht nur zuverlässig, er sei auch einer, der die Arbeit sehe, ohne dass man ihn darauf aufmerksam machen müsse, sagte Markus Schwab, Chefbademeister des Schimmbads Aarberg, wo Brunner in dieser Saison als Praktikant arbeitet.

Und ohne dazu aufgefordert zu werden, sagte Schwab, dass er hofft, dass Brunner bald eine reguläre Anstellung erhält. Etwa im Betriebsunterhalt eines grösseren Unternehmens.

Begonnen hat Brunners berufliche Karriere wie bei den meisten Arbeitnehmern in der Schweiz; er hat eine Berufslehre gemacht. Als Briefträger arbeitete er drei Jahre, bevor er in die Generaldirektion der damaligen PTT in Bern wechselte.

Dort war er anschliessend neun Jahre lange als Kurier und Mitarbeiter des Empfangs tätig. Die nächsten 13  Jahre arbeitete er als Ausstellungstechniker im PTT-Museum, das später in Museum für Kommunikation umgetauft wurde.

Nach diesen Jahren treuen Dienens für einen staatlichen Regiebetrieb sah Brunner um die Jahrtausendwende die Chance, sich einen Lebenstraum zu erfüllen. Er machte sich selbstständig und übernahm die Leitung eines Kioskshops in der Umgebung von Bern. Als Startkapital diente ihm sein Pensionskassenkapital.

Sieben Jahre lang lief der Kiosk gut. Dann aber ging es abwärts. Brunner wollte sich zu lange nicht eingestehen, dass er sein Geschäft nicht länger halten konnte. Und als er dann endlich doch Konkurs anmeldete, war nicht nur sein Pensionskassenkapital weg; er hatte nun auch Schulden.

Als Selbstständiger konnte Brunner kein Arbeitslosengeld beziehen. Also landete er bei der Sozialfürsorge. Obwohl er von Anfang an in Altersheimen oder Kulturhäusern Arbeitseinsätze leistete, machte er die Erfahrung, dass alle seine Stellenbewerbungen erfolglos blieben.

In der Not dachte er vor zwei Jahren an seine alte Heimat in der Umgebung von Aarberg. Hier könnte er dank seines verwandschaftlichen Netzwerkes eher eine Stelle finden, dachte er. Also zog er von Bern ins Seeland. Aber ausser einer befristeten Stelle gab es für ihn auch hier kein bezahltes Engagement.

Nun aber habe er die Möglichkeit erhalten, in einem echten Betrieb zu arbeiten. Dadurch würden sich seine Chancen verbessern, eine bezahlte Teilzeit-Stelle zu finden, sagte Brunner.  

*Name von der Redaktion geändert.
 

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