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Obergericht

Rassismus oder nicht?Das Obergericht lässt sich Zeit

Das Obergericht will das Urteil im Fall Nils Fiechter und Adrian Spahr erst in einer Woche verkünden. Wie vor der ersten Instanz haben die beiden Co-Chefs der Jungen SVP Bern beteuert, niemals eine Personengruppe diskriminiert haben zu wollen.

Die Kampagne sei im Nachhinein gesehen kein Erfolg gewesen, sagen Adrian Spahr und Nils Fiechter (rechts) heute. Brigitte Jeckelmann

von Brigitte Jeckelmann
Im Saal 3 des Berner Obergerichts drängen sich auf  zwei Sitzreihen die Zuschauer. Am Freitagmorgen um 8.30 Uhr eröffnet Oberrichter Hanspeter Kiener die Verhandlung. Es geht um Rassendiskriminierung im Fall von Adrian Spahr und Nils Fiechter, Co-Präsidenten der Jungen SVP Kanton Bern. Kurz vor Mittag, nach den Plädoyers des Anwalts von Fiechter und Spahr sowie des Generalstaatsanwalts, unterbricht Kiener die Verhandlung und vertagt die Urteilseröffnung um eine Woche. Man wolle nichts übers Knie brechen, sagt er, und sich für dieses Urteil genügend Zeit lassen. Patrick Freudiger, der Anwalt von Spahr und Fiechter, fordert, das erstinstanzliche Urteil vollumfänglich aufzuheben, der Staatsanwalt dagegen eine Bestätigung davon.


Es ging um Transitplätze
Fiechter und Spahr haben das Urteil des Regionalgerichts Bern-Mittelland vom 14. Januar dieses Jahres nicht akzeptiert und beim Obergericht Berufung eingelegt. Die Einzelrichterin hatte sie wegen Rassendiskriminierung zu bedingten Geldstrafen verurteilt. 
Grund dafür war eine Karikatur im Vorfeld der Berner Grossratswahlen im Frühling 2018 auf der Facebook-Seite der Jungpartei. Diese brachte ausländische Fahrende mit Fäkalien, Gestank und Schmutz in Verbindung. Mit der Kampagne wollten die beiden Stimmung machen gegen Transitplätze für ausländische Fahrende.
Nie sei es ihre Absicht gewesen, eine Personengruppe zu diskriminieren. Das beteuern beide abermals vor Obergericht. Es sei ihnen um die Transitplätze gegangen und nicht um Personen. «Ich bin kein Rassist», sagt Nils Fiechter. Als kanadisch-schweizerischer Doppelbürger habe er nichts gegen Ausländer. Er sei weltoffen und beurteile Menschen weder nach ihrer Hautfarbe, Herkunft oder Religion. Man habe mit der Karikatur auch nicht Nein zu Fahrenden sagen wollen, sondern zu den Transitplätzen. Fiechter: «Es ging darum, auf unsere Jungpartei aufmerksam zu machen, die sich dafür einsetzt, dass sich die Kantonsregierung nicht einfach über die Köpfe der Bevölkerung in Meinisberg und Wileroltigen hinwegsetzen darf.»


Der damalige Berner Regierungsrat Christoph Neuhaus (SVP) hatte sich für Transitplätze für ausländische Fahrende auf kantonseigenen Grundstücken unweit der beiden Gemeinden stark gemacht. Das Projekt in Meinisberg versenkte der Grossrat. In Wileroltigen wird das Volk das letzte Wort dazu haben.


Klare Botschaft
Auf die Frage von Oberrichterin Franziska Bratschi, weshalb man im Facebook-Post denn nicht einfach die beiden Wörter «ausländische Zigeuner» hätte weglassen können, meint Spahr: «Wir wollten sichergehen, dass die Leute verstehen, worum es genau geht.» Denn manche könnten sich unter dem Begriff Transitplatz nichts vorstellen. Die Botschaft des Facebook-Posts habe aber klar sein müssen.


«Sie können aber schon nachvollziehen, dass sich ein ausländischer Fahrender von der Karikatur betroffen fühlt?», fragt Oberrichter Samuel Schmid. «Als korrekter Fahrender fühlt man sich davon nicht beleidigt», ist Adrian Spahr überzeugt und macht das an seinem eigenen Beispiel deutlich: Dunkelhäutige Menschen, die Probleme machen, würden auch ihm schaden. Deshalb müsse man die Dinge beim Namen nennen. In seinem Plädoyer zieht Rechtsanwalt Patrick Freudiger unter anderem das Beispiel des Lysser Gemeinderats Jürg Michel (SVP) herbei. Dieser hatte wegen der Äusserung im Lysser Parlament «wenn man die Zigeuner nicht vom Sehen her kennt, dann spätestens mit der Nase», ebenfalls eine Anzeige wegen Rassismus kassiert. Die Staatsanwaltschaft habe das Verfahren aber ohne Straffolge eingestellt.


Spahr sagt vor Obergericht, er habe einige Tage vor dem Facebook-Post mit Michel Kontakt gehabt und von der Einstellungsverfügung erfahren. Wäre Michel bestraft worden, so Spahr, hätte man die Karikatur noch einmal einer Analyse unterzogen und sie  womöglich abgeändert.
Jürg Michel bestätigt auf Anfrage, dass das Verfahren gegen ihn eingestellt wurde. Über die Begründung will er sich nicht äussern.


Hass und Diskriminierung
Für Staatsanwalt Christof Scheurer dagegen ist klar, dass das erstinstanzliche Urteil gegen Spahr und Fiechter differenziert begründet ist. Die Karikatur der Jungen SVP sei pauschalisierend und würde sämtliche Fahrende zu Menschen zweiter Klasse degradieren. Zudem sei Spahr und Fiechter das Urteil im Fall der SVP-Kampagne vor der Masseneinwanderungsinitiative bekannt gewesen. Mit einem Plakat und dem Spruch «Kosovaren schlitzen Schweizer auf», habe die SVP zu Hass und Diskriminierung aufgerufen. Vor zwei Jahren verurteilte das Bundesgericht deshalb zwei SVP-Kadermitglieder wegen Rassendiskriminierung zu bedingten Geldstrafen.
Das Berner Obergericht wird sein Urteil am kommenden Freitag, dem 6. Dezember, fällen.

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