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Alt und Jung

Coronaimpfung – 
eine Frage der Moral?

Kurz nach Neujahr besuche ich meine Grossmutter. Sie ist 89, geistig topfit und schmeisst ihren Haushalt grösstenteils selbst. Unser Gespräch dreht sich um Corona.

Jessica Ladanie

Kurz nach Neujahr besuche ich meine Grossmutter. Sie ist 89, geistig topfit und schmeisst ihren Haushalt grösstenteils selbst. Unser Gespräch dreht sich um Corona. Ich frage, ob sie sich impfen lässt. Sie grinst mich an. In ihrem Alter, so meine Grossmutter bestimmt nicht mehr.

Meine Grossmutter begegnet der Corona-
impfung mit Skepsis. Damit ist sie nicht alleine: Nur 41 Prozent der Schweizer Bevölkerung möchte sich gemäss einer Umfrage der SRG den Impfstoff injizieren lassen. Die Sorgen gegenüber der Schnellzulassung, vor möglichen Nebenwirkungen und Langzeitfolgen schüren die Impfskepsis.

Ich verabschiede mich von meiner Grossmutter. Ich verstehe ihre Bedenken, hadere aber trotzdem mit ihrer Haltung. Ich möchte meine Grossmutter nicht an Corona verlieren. Sollte das Virus sie befallen, wäre die Wahrscheinlichkeit eines wirklich schweren Krankheitsverlaufs gross. Mit der Frage, ob wir moralisch verpflichtet sind uns zu impfen, fahre ich heim.

Die Coronakrise wirft immer wieder höchst ethische Fragen auf: Wer bekommt das letzte Bett im Krankenhaus? Oder aktuell: Sollten wir uns impfen lassen, um andere zu schützen? Denn: Gewisse Menschen mit Vorerkrankungen oder einem schwachen Immunsystem können sich nicht impfen lassen. Wollen wir sie auf unbestimmte Zeit isolieren oder lassen wir uns auch für sie impfen? Eine hohe Impfquote in der Gesellschaft ist für viele Vorerkrankte schlicht überlebenswichtig.

Die Coronapandemie ist generationsübergreifend: Während vor allem ältere Menschen die Spital- und Intensivbetten infolge einer Corona-Infektion belegen, sieht sich die junge Generation vermehrt mit psychischen Folgen konfrontiert. Kliniken melden einen Zustrom junger Patientinnen und Patienten. Sie leiden häufiger an Suizidgedanken oder Angstzuständen. Um die alte und junge Generation zu schützen, sollten wir uns impfen lassen – sozusagen aus zweierlei Solidarität.

Die Spitäler laufen seit März 2020 am Limit. Die Betten der Intensivstationen sind voll und ein Ende der Pandemie ist nicht in Sicht. Die Frage ist nicht, ob die nächste Welle kommt, sondern wann.

Gegen weitere Wellen ist die Schweiz gewappnet. Nicht so der globale Süden: Gesundheitssysteme sind dort auch ohne Corona am Rande ihrer Belastbarkeit. Seit der Coronapandemie gerät der Kampf gegen Malaria, Tuberkulose und HIV ins Stocken. Das Virus kennt weder Grenzen noch Kontinente, also müssen wir global reagieren. Die Lösung für unser Problem scheint greifbar nah. Spätestens, wenn Erkenntnisse zum Übertragungsschutz der Impfung vorhanden sind, sollten wir uns aus Solidarität impfen lassen.

Corona verschwindet nicht von alleine, wir können diese Pandemie nur gemeinsam überwinden. Es braucht nun die Solidarität aller, um vulnerable Personen und somit auch unsere Liebsten zu schützen. Wir alle müssen nun an einem Strang ziehen und uns auch für andere impfen lassen. Das ist wie bei der Coop-Werbung: für mich und dich. Die Herdenimmunität erreichen wir nur zusammen, durch eine hohe Impfquote.

Zuhause angekommen, beschliesse ich, nochmals mit meiner Grossmutter zu sprechen. Ich teile meine Gedanken über unsere moralische Pflicht mit ihr. Ich merke, dass der Solidaritätsgedanke an ihr haftet. Einige Tage später klingelt mein Telefon, es ist meine Grossmutter. Sie lässt sich nun doch impfen. Für meine Grossmutter ist nun klar: Sie lässt sich impfen, um die Spitäler zu entlasten und andere zu schützen. Auch wenn mögliche Nebenwirkungen und Langzeitfolgen nicht auszuschliessen sind, geht sie das Risiko ein.

Und Sie, lassen Sie sich impfen?

von Jessica Ladanie

 

 

Stichwörter: Corona, Impfung, Alter, Gesundheit

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