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Sportler mit Nebentätigkeit

Unter Andersdenkenden

Spitzensport und Studium: 
Der frühere GC-Verteidiger Benjamin Lüthi kann keine Nachteile erkennen. Skirennfahrer 
Ramon Zenhäusern absolviert an 
der Fernuniversität Schweiz ein Wirtschaftsstudium.

Glücklich: Benjamin Lüthi ist zufrieden mit seinem Studentenleben. Copyright: Flurin Bertschinger

Dominic Wuillemin

Ist er jetzt glücklicher als noch vor einem halben Jahr? Benjamin Lüthi muss nicht lange überlegen, um antworten zu können.

Vor sechs Monaten hatte er, was hierzulande Hunderttausende einen Traumjob nennen. Er war Fussballprofi bei GC, verdiente gutes Geld – auch wenn er nicht der gehobenen Lohnklasse angehörte. Doch Glücksmomente verspürte er kaum noch. Ein Sieg brachte Genugtuung, das schon. Aber nur kurzzeitig. Der vermeintliche Traumjob wurde immer mehr zur Belastung. Lüthi spricht von einem Teufelskreis. Weil sich die fehlende Freude auf seine Darbietungen auswirkte. Und ihn diese wiederum, wenn sie schlecht ausfielen, weiter herunterzogen. Als der Aussenverteidiger letzten Herbst nach einer hohen Niederlage wieder einmal eine Krise durchmachte, sagte er sich: «Das kann es nicht sein. Was tue ich da eigentlich?» Daraufhin fällte er den Entscheid, der schon länger gereift war, und hörte auf. Mitte Dezember stand er im Spiel gegen Lugano letztmals auf dem Platz.

Mit den Büchern im Bus

Es ist Mittwoch. Benjamin Lüthi sitzt in einem Café am Zürcher Limmatplatz. Nach dem Jahreswechsel weilte er mehrere Wochen in Neuseeland. Länger auf Reisen gehen, den Wunsch hatte er schon lange gehegt. Als Profi blieb er unerfüllt. Lüthi sagt: «Mir fehlte der ultimative Fokus auf den Fussball. Mich hat immer das Leben daneben angezogen.» Jetzt, da er seine Karriere beendet hat, muss er keine Kompromisse mehr eingehen.

Dazu gehört auch, dass sich der 28-Jährige ab Sommer seinem Betriebswirtschaftsstudium an der Universität Zürich widmen kann. Bei GC musste er seine Nebentätigkeit verschweigen. Zwar hatte er seine Pläne bei Pierluigi Tami einmal kurz angesprochen, der frühere Trainer gab ihm jedoch zu verstehen, dass er davon nichts hielt (siehe auch Interview unten). Lüthi schrieb sich dennoch ein. Weil er fand: «Ich kann in der Freizeit machen, was ich will. Sofern ich meinen Verpflichtungen nachkomme.» Während sich die Teamkollegen auf den Fahrten zu Partien unterhielten, nahm Lüthi die Bücher zur Hand, lernte – unbemerkt von Tami. Sprüche seiner Kameraden musste sich der Sohn von FC-Thun-Präsident Markus Lüthi keine anhören. Auch wenn sich die wenigsten erklären konnten, warum Lüthi die Zeit neben dem Platz mit Lernen verbrachte. «Für sie war das sehr weit weg. Ihre Konzentration galt ausschliesslich dem Fussball.» Bei GC befand er sich unter Andersdenken. Im Team fühlte er sich dennoch wohl. Auch wenn er anprangert, dass sich jeder zuerst mit sich selber beschäftigt, nach dem Training sofort auf das Handy starrt. «Aber das war nicht der Grund, warum ich aufgehört habe.»

Im Café am Limmatplatz hat sich Lüthi als Kellner beworben. Er will in nächster Zeit verschiedene Tätigkeiten ausprobieren, Kontakte pflegen, sich besser kennenlernen. Benjamin Lüthi findet, er führe jetzt ein glückliches Leben.

«Ist ein Profi rundum glücklich, spielt er besser.»

Benjamin Lüthi, was halten Sie von der Meinung Ihres früheren Trainers Pierluigi Tami, Spitzensport lasse sich nicht mit einem Studium vereinbaren?

Benjamin Lüthi: Ich kann sie nicht nachvollziehen. Sie ist engstirnig. Im Fussball sollte vermehrt über den Tellerrand hinausgeblickt werden.

Wie meinen Sie das?

Die Ganzheitlichkeit des Menschen wird hie und da zu wenig in Betracht gezogen. Ist ein Profi rundum glücklich, spielt er besser. Eine Ausbildung etwa kann dazu führen, dass sich ein junger Spieler nicht um seine Zukunft sorgen muss und deshalb unbeschwerter auftritt. Dieses Verständnis fehlt manchmal.

Erlebten Sie gegenteilige Fälle?

Während meiner Zeit in Thun absolvierte Roland Bättig eine Weiterbildung. Zuweilen fehlte er gar beim Training. Es war dennoch kein Problem. Das finde ich vorbildlich.

Warum, denken Sie, sind Nebenbeschäftigungen im Eishockey verbreiteter als im Fussball?

Eine Erklärung könnte sein, dass ein Fussballer viel grössere Möglichkeiten hat, sich zu vermarkten. Er ist exponierter. Man sieht seine Frisur, die Tattoos. Der Hockeyspieler ist dagegen anonymer, er trägt einen Helm. Es gibt keine ausgefallenen Schlittschuhe, keine bunten Stöcke. Da kommt es vor allem darauf an, wer du bist. Und nicht, wie du aussiehst.

Interview: dwu

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Lernen statt jassen, gamen und schlafen

Ramon Zenhäusern misst zwei Meter, ist schlank, so etwas wie der geborene Volleyballspieler. Seine Interessen jedoch sind anders gelagert. Der Oberwalliser war Schweizer Nachwuchsmeister im Tennis geworden, ehe er der Skikarriere Priorität einräumte. Seit zwei Jahren gehört der Slalomspezialist zu den Top 30 der Welt. Elegant sieht es nicht aus, wenn der Schlaks um die Tore kurvt; sein Schwung aber ist schnell. Marcel Hirscher liess unlängst verlauten, es sei bewundernswert, wie gut sich Zenhäusern mit seinem hohen Körperschwerpunkt präsentiere.

Kurze Schwünge mit langen Beinen: Ramon Zenhäusern gehört im Weltcup zu den 30 besten Slalomspezialisten. Copyright: Keystone

Training und Wettkampf

Der 24-Jährige aus Visp fällt nicht nur auf der Piste auf. Befindet sich das Team auf Reisen, verbirgt sich sein Gesicht in der Regel hinter einem Buch. Er studiert an der Fernuniversität Schweiz Wirtschaft. Gelernt wird vornehmlich in Bussen und Flugzeugen, «während meine Kollegen jassen, gamen oder schlafen». Er gesteht, es falle ihm nicht immer leicht, die nötige Selbstdisziplin aufzubringen. «Aber es ist wichtig, die Gedanken auf etwas anderes lenken zu können. Hätte ich das Studium nicht, würde ich wohl permanent ans Skifahren denken.»

Nominell ist Zenhäusern die Nummer 3 unter den Schweizer Slalomfahrern. Daniel Yule und Luca Aerni bewegen sich an den Wettkämpfen in einer höheren Leistungsklasse. Im Training hingegen wechseln sich die vier, fünf stärksten Swiss-Ski-Athleten mit den Bestzeiten ab; es lässt sich keine Hierarchie erkennen.

Nicht nur aus diesem Grund stellt sich Zenhäusern immer mal wieder die freilich hypothetische Frage, ob er in den Ranglisten besser dastünde, wenn er sich auf den Sport konzentrierte. Und landet bei der Suche nach Antworten immer wieder im Januar 2016, als er den kurz vor einer Prüfung stattfindenden Slalom in Adelboden auf Rang 7 beendete; es handelt sich um seine einzige Top-10-Klassierung. «Am Stress dürfte es nicht liegen», hält er nüchtern fest.

Trotzdem ist ungewiss, ob er die Ausbildung fortsetzen oder sich im Hinblick auf die bevorstehende Olympiasaison eine Auszeit gönnen wird; den Entscheid dürfte er demnächst fällen. Grundsätzlich ist Zenhäusern jedoch von seinem Weg überzeugt. Er sagt, der Sport sei super, die Karriere aber von relativ kurzer Dauer. «Ich will bereit sein, wenn das Leben B beginnt.» Micha Jegge

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