Sie sind hier

Abo

Social Media

Unterhaltsame App frisst private Daten

Tiktok zieht vor allem Kinder und Jugendliche magisch an. Doch die erfolgreiche App aus China ist eine riesige Datenkrake und nimmt es mit dem Datenschutz nicht so genau.

Zeitfresser: Die App Tiktok fasziniert besonders Kinder und Jugendliche, Symbolbild: Keystone
  • Dokumente

Simon Dick

Als Ende April Bundespräsident Ueli Maurer bei seinem Staatsbesuch in China Tiktok selber ausprobieren durfte, ging sein Video viral. Es war durchaus amüsant zu sehen, wie der Schweizer Politiker mit der Unterhaltungs-App versuchte zu interagieren und mittels Taktgefühl zusätzliche Effekte hervorzaubern wollte. Doch was genau ist dieses Tiktok eigentlich, woher kommt es und warum können Kinder und Jugendliche davon kaum die Finger lassen?

Hinter Tiktok steckt der chinesische Unternehmer Zhang Yiming, der im Jahr 2012 die Firma ByteDance gründete und sein Vermögen damit sehr schnell vergrössern konnte. Aktuell wird es auf 16,2 Milliarden US-Dollar geschätzt. Yiming, der gerne auch mal mit Facebook-Gründer Mark Zuckerberg verglichen wird, kaufte Ende 2017 die Social-Media-App «Musical.ly» und erschuf daraus Tiktok, das in China unter dem Namen «Douyin» vermarktet wird. Seine Firma ByteDance besitzt zahlreiche IT-Firmen, hat in China eine eigene Suchmaschine lanciert und plant sogar in den Smartphone-Markt einzusteigen. Die Firma ist mit 75 Milliarden US-Dollar aktuell das wertvollste Start-up der Welt.

Eine bizarre Welt
Tiktok ist in erster Linie eine App, die den Zugang zu einem sozialen Netzwerk gewährt, das vor allem aus Kurzvideos besteht und hauptsächlich von Kindern und Jugendlichen weltweit genutzt wird. Die Videos haben meistens eine Dauer von nur 15 Sekunden und werden mit diversen Filtern für die Gesichter und anderen Effekten angereichert. In den Videos wird zu aktuellen Chart-Hits gesungen oder getanzt. Es gibt aber auch kurze Monologe zu einem Thema, das die jungen User bewegt oder kuriose Videos, die meistens aus einer Laune heraus hergestellt und veröffentlicht werden. Für Nichtkenner eine bizarre, auch leicht verstörende Welt, weil hier junge Menschen bunte und laute Inhalte erstellen, die sich einem nicht sofort erschliessen wollen. Der Rest ist Social-Media-Alltag: Wenn einem ein Video gefällt, dann darf man es liken und den Kanal abonnieren, um keine weiteren Inhalte der Macher zu verpassen. Die App wurde bereits mehr als eine Milliarde mal heruntergeladen und zieht durch einen sehr hohen Unterhaltungsfaktor immer mehr jüngere User an.

Michael In Albon, Jugendmedienschutz-Beauftragter bei der Swisscom, sieht in Tiktok noch einen anderen Grund, warum Kinder und Jugendliche so sehr fasziniert sind: «Als Neuling hat man sehr schnell viel Aufmerksamkeit und hohe Like-Zahlen, weil es momentan noch zu viele User für zu wenig Inhalte gibt und so die eigenen neuen Videos hochfrequentiert ausgespielt werden», sagt der Medienexperte. Tiktok sorgt also dafür, dass die eigene Community sehr schnell wächst und man schon nach kurzer Zeit seine Bestätigung erhält. Kurz: Die Hauptziele eines sozialen Netzwerks werden hier schon nach sehr kurzer Nutzungszeit erreicht.

Sensible und vertrauliche Daten
Das Bild nach aussen vermittelt eine harmlose App für Kinder und Jugendliche, die eigene Videos erstellen und sich dafür von einer mal kleinen, mal grösseren Fangemeinde feiern lassen dürfen. Daran ist auf den ersten Blick nichts Verwerfliches zu erkennen, doch die App muss sich immer mehr Kritik zum Thema Datenschutz gefallen lassen. Es werden massenweise sensible und sehr vertrauliche Daten von Kindern und Jugendlichen, also Minderjährigen, abgegriffen. Namen, E-Mails, Standorte, Bilder, Videos und andere Daten landen irgendwo auf einem Server. Von offizieller Tiktok-Seite her heisst es zwar, dass die Inhalte von europäischen und amerikanischen Nutzern innerhalb der Landesgrenzen auf den Servern bleiben, was aber nicht bedeutet, dass die chinesische Firma ByteDance als Inhaberin keinen Zugriff darauf hat.

Laut der britischen Tageszeitung «The Guardian» werden zudem viele regierungskritische Videos in einigen Ländern von der Plattform entfernt. So sollen beispielsweise Videos in der Türkei, die Stellung gegen das Staatsoberhaupt Erdogan beziehen, nicht erlaubt sein. Auch harmlose Videos gleichgeschlechtlicher Liebe werden angeblich nicht geduldet und verschwinden sofort von der Plattform, während gar freizügige Inhalte von Kindern und Jugendlichen durchgewunken werden. Tiktok scheint zwar per se eine Unterhaltungs-App zu sein, doch wird auch sie in Krisen-Zeiten gerne als Kanal für politische und regierungskritische Inhalte verwendet, wenn andere Kommunikationsmittel gekappt werden. Doch kritisierte Regierungen wissen sich zu helfen: Laut «The Guardian» bietet die Firma ByteDance sogar länderspezifische Apps an, womit die Machthaber die Inhalte und die User besser kontrollieren können.

Junges Publikum erreichen
Trotz vermehrter Kritik, Tiktok wird auch gerne als neues Sprachrohr genutzt, um eine junge Zielgruppe zu erreichen. Die «Washington Post» zum Beispiel versucht dort, mit Kurzvideos, junge Kundinnen und Kunden zu gewinnen. Die Tiktok-Welle erreicht auch langsam unsere Breitengrade. Die «Deutsche Tagesschau» hat vor kurzem ebenfalls einen Tiktok-Kanal installiert, um auch hier die Marke an ein jüngeres Publikum zu bringen. Die ersten doch etwas verkrampft lustigen Videos scheinen sich aber nicht so recht mit der erarbeiteten Seriosität einer Tagesschau zu decken.

***********************************************

Schweizer Jugendliche und ihre Social-Media-Nutzung
Die Nutzung sozialer Netzwerke gehört zu den häufigsten medialen Freizeitaktivitäten: 90 Prozent der Jugendlichen in der Schweiz nutzen diese täglich oder mehrmals pro Woche, mehrheitlich zur Unterhaltung, teilweise aber auch zur Information, heisst es in der jüngsten JAMES-Studie. 2018 sind 94 Prozent der Jugendlichen in der Schweiz bei mindestens einem sozialen Netzwerk angemeldet.

Die sozialen Netzwerke mit den meisten Mitgliedschaften sind Instagram und Snapchat: 87 Prozent beziehungsweise 86 Prozent aller Jugendlichen in der Schweiz besitzen einen Account bei diesen beiden Plattformen. Fast zwei Drittel der Jugendlichen geben an, bei Google+ einen Account zu haben, 52 Prozent bei Facebook. Je rund 40 Prozent der Jugendlichen sind bei Pinterest, Twitter und musical.ly angemeldet. Hierbei ist anzumerken, dass musical.ly Anfang August in die App Tiktok integriert wurde (siehe Haupttext oben).

Alterseffekte zeigen sich bei vier der sozialen Netzwerke. Die 12-/13-Jährigen haben im Vergleich zu den älteren Jugendlichen am seltensten einen Account bei Instagram und Snapchat. Je älter die Jugendlichen sind, desto eher haben sie einen Facebook-Account. Umgekehrt verhält es sich bei musical.ly respektive Tiktok: Hier sind die 12- bis 15-Jährigen häufiger angemeldet als die älteren Jugendlichen.

Zwischen den Geschlechtern zeigen sich unterschiedliche Präferenzen. Mädchen haben häufiger einen Account bei Pinterest und Musical.ly/Tiktok als Jungen. Jungen sind hingegen häufiger bei Facebook und Twitter angemeldet als Mädchen. mt

Info: JAMES ist eine Studie zum Mediennutzungs- und Freizeitverhalten von 12 bis 19-jährigen Nutzerinnen und Nutzern. Im Auftrag der Swisscom führt die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften alle zwei Jahre eine repräsentative Umfrage durch.

Nachrichten zu Digital »