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Videospiel

Im digitalen Dreck herumwühlen

Der virtuelle Thriller «Watch Dogs» thematisiert die schwindende Privatsphäre im Internet. Im Zentrum steht ein Held, der mit seinem Smartphone als Waffe allerhand anstellen kann.

In der Zukunft wird das Smartphone zur Allzweckwaffe, Bild: zvg

von Simon Dick

Wer schon einmal minutenlang an der Ampel stand und sich einen Knopf zum Umschalten auf Grün wünschte oder den Drang verspürte, fremde Smartphones auszuspionieren, darf das jetzt ohne Gewissensbisse tun - zumindest virtuell. Im Videospiel «Watch Dogs» werden solche Manipulations-Träume wahr.

In einer nicht allzu fernen Zukunft ist der gläserne Bürger in der amerikanischen Stadt Chicago bereits Realität geworden. Nur weiss es noch niemand. Ein zentrales Computernetzwerk hat alles und jeden vernetzt. Egal ob Textnachrichten, Telefonate oder Online-Gewohnheiten, alles wird aufgezeichnet und gespeichert. Der pure Überwachungsstaat ist allgegenwärtig und dominiert die Gesellschaft. Privatsphäre ist zu einem Fremdwort geworden.

Von Rachedurst getrieben
Protagonist Aiden Pearce erfüllt so gar nicht die bekannten Hacker-Klischees aus Film und Fernsehen: Er ist attraktiv, äusserst sportlich und eigentlich ein ganz geselliger Zeitgenosse. In der Vergangenheit hat er seine Fähigkeiten missbraucht, um diverse Bankkonten zu plündern. Als er sich jedoch zu weit in die Computernetze hineinwagte, endete das Vorhaben in einer Familientragödie: Seine Nichte starb bei einer Autoverfolgungsjagd, die er zu verantworten hatte. Psychisch gebrochen und getrieben von Rachedurst hackt er sich in jedes Smartphone und manipuliert verschiedene Netzwerke, um die Verantwortlichen sowie die Hintermänner einer grossen Verschwörung zu entlarven.

Bristante Inhalte entdecken
Durch das Eindringen in das zentrale Computernetzwerk der Stadt kann der Protagonist in die tiefste Privatsphäre der Bewohnerinnen und Bewohner vordringen. Hier liegt der Hauptreiz dieses Videospiels: Mittels Hacking, das im Gegensatz zur Realität hier nur mit einem Knopfdruck geschieht, erhält man Zugriff zu Überwachungskameras, zu fremden Smartphones und heimischen Computern. Die dadurch entdeckten Daten, Audiosignale und vor allem Videoszenen sind brisant und äusserst unterhaltsam. Da werden sexuelle Vorlieben aufgedeckt, Beziehungsdramen enthüllt und kriminelle Vergangenheiten entlarvt. Der Spieler wird zum Voyeur und ertappt sich dabei, wie er stundenlang in den persönlichen Daten der virtuellen Figuren herumschnüffelt und sich mittels Kameras Einblicke in die Privat- und Intimsphäre gewährt. Die offene Welt mit ihren vielen illustren Bewohnern lockt und lässt die Hauptgeschichte links liegen. Die privaten Geheimnisse und die Vielzahl an Möglichkeiten an diese heranzukommen, wecken das Entdeckergen im Spieler.

Der Spieler darf aber noch viel mehr in der riesigen Metropole anstellen:  Er kann die Lichter der Verkehrsampeln nach Belieben umstellen, verschlossene Türen öffnen, Gasleitungen explodieren lassen und sogar die Nahverkehrszüge anhalten und weiterfahren lassen. Ein Traum für Pendler. Solche Fähigkeiten, die man unter anderem erst nach ein paar Spielstunden erhält, sind auch bitternötig, denn nebst dem Ausspionieren der freien Welt, ist «Watch Dogs» ein Videospiel, der alten Schule: Der Held flieht nicht nur regelmässig vor bösen Buben und muss sich mit Schlag- und Feuerwaffen zur Wehr setzen, sondern er rennt oder fährt von Mission zu Mission, um die Hauptgeschichte voranzutreiben und die Endsequenz zu bestaunen.

Fiktion wird Realität
Als die Welt noch keine Ahnung vom gigantischen Abhörskandal amerikanischer Behörden hatte, wurde «Watch Dogs» bereits im kanadischen Montreal entwickelt. Noch bevor Edward Snowden verkündete, dass grosse Internetkonzerne seit Jahren geschäftliche als auch private Kommunikation systematisch kontrollieren und analysieren, wurde das Grundprinzip von «Watch Dogs» kreiert, das aktueller nicht sein könnte.

Videospiele dienen in erster Linie der Unterhaltung. Titel mit politischen Aussagen oder zeitgenössischer Gesellschaftskritik sind selten, zumal bereits die Entwicklungszeit eines Videospiels mehrere Jahre dauert und danach ein neuer Zeitgeist regiert. Dieser Cyberpunk-Thriller ist die glückliche Ausnahme geworden. Eine fiktionale Geschichte wurde zur Realität.

Kleider machen Leute
«Watch Dogs», das für rund 70 Millionen Franken entwickelt wurde, ist das neue, grosse Pferd im «Ubisoft»-Stall. Der Videospielentwickler geht mit einer gigantischen Werbekampagne auf die potentiellen Käufer los. Und die sind ganz wild auf den Titel. Seit der Ankündigung vor zwei Jahren wartet eine riesige Fangemeinde sehnlichst darauf, sich in einer grossen weiten Welt mit seinen virtuellen Hackerfähigkeiten auszutoben. Da verzeiht man dem Konzern auch gerne die mehrmalige Verschiebung des Startdatums und dass die optische Umsetzung für einen Titel mit solch langer Entwicklungszeit grobe Mängel aufweist. 

Dass Ubisoft selber an einen gigantischen Hit glaubt, beweist die exklusive Kleider-Kollektion zum Videospiel. So gibt es beispielsweise diverse Accessoires oder den Mantel des Helden Aiden zu kaufen. Somit könnnen hartgesottene Fans auch in der Realität in die Rolle ihres Helden schlüpfen. Nur die simplen Hackerfähigkeiten kann man nicht käuflich erwerben. Und das ist auch gut so.

Info: «Watch Dogs» ist erhältlich für Playstation 4, Playstation 3, Xbox One, Xbox 360 und PC. Freigegeben ab 18 Jahren. Eine Version für Wii U folgt später.

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