Zuschauen und sich fremdschämen

von Simon Dick

Eine Gruppe von Jugendlichen starrt auf ein Smartphone. Im gezeigten Video lacht jemand lauthals vor Begeisterung. Das Publikum lacht ebenfalls und amüsiert sich darüber, das sich jemand im Video amüsiert. Verrückt. Wer sich regelmässig mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fortbewegt, kennt solche Szenen. Doch nicht nur im öffentlichen Raum, auch zuhause werden solche «Reaction-Videos» angesehen. Das Geschäft auf Youtube boomt und verschiedene Genres haben sich entwickelt.

Filmfans und Trailer
Filmfreaks filmen sich selber, wenn sie zum ersten Mal den Trailer eines Kinofilms, den sie sehnlichst erwarten, im Internet anschauen. Dieses Online-Phänomen wurde erst im letzten Jahr einem breiten Publikum bekannt. Schuld daran war der neuste Star Wars-Film «The Force Awakens». Als der erste Trailer veröffentlicht wurde, filmten sich Fans rund um den Globus selber, als sie die ersten Bewegtbilder zuhause vor dem Computer konsumierten. Sie lachten, schrien und weinten vor Vorfreude .

Über Nacht wurden mehrere Tausend Videos auf Youtube veröffentlicht, die unterschiedliche Menschen zeigten, wie sie ihren Emotionen freien Lauf liessen. Junge Männer und Frauen, ältere Semester und Menschen verschiedenster Herkunft und Hautfarben filmten ihre Vorfreude oder liessen sich filmen.

Selbst die neuen Jungstars aus «The Force Awakens» filmten sich und die Videos wurden zum viralen Hit. Daisy Ridley und John Boyega liessen ihren Gefühlen freien Lauf. Während Daisy Ridley vor Begeisterung weinte, hüpfte John Boyega aufgeregt hinter sein Sofa.

Senioren und Games
Rentnerinnen und Rentner haben in der Regel mit Videospielen so gut wie gar keine Erfahrung. Dieses noch junge Medium ist für viele ältere Menschen eine fremde Welt. Was passiert aber, wenn man ausgewählten Senioren einen Game-Controller in die Hände drückt und sie einfach spielen lässt?

Dabei wird keine Rücksicht auf bestimmte Genres genommen. Vom knallharten Egoshooter bis zum simplen Geschicklichkeitsspiel wird den älteren Konsumenten alles serviert. Die Reaktionen der Versuchskaninchen sind unterschiedlich. Während die einen lauthals lachen und erstmals mit der Steuerung überhaupt nicht zurecht kommen, werfen andere schnell das Handtuch. Wiederum andere geben sich Mühe und wollen weiterkommen und sind fasziniert von der Grafik und der Steuerung, mit der sie die Spielfiguren durch eine virtuelle Welt dirigieren können.

Kinder und Geschenke
Wer hat nicht auch schon als Kind ein Geschenk erhalten, das er am liebsten in den Mülleimer geworfen hätte? Egal ob ein langweiliger Fussball oder das neuste Lego-Spielzeug, die Reaktionen der Kinder sind meistens sehr ehrlich. Von ungläubigen Blicken bis zu intensiven Heul- oder Wutanfällen ist alles dabei. Auf Youtube gibt es viele Videos, die sich diesem Thema angenommen haben. Während viele Eltern ihre Kinder dabei filmen, wie sie mit teils sinnvollen Geschenken überhäuft werden und sich freuen, schenken andere Eltern ihren Kindern mit Absicht schreckliche, unerwünschte Präsente um ihre Reaktionen festzuhalten. 

Amateure und Profis
Die Anzahl der auffindbaren Reaction-Videos ist riesig. Klickt man sich intensiv durch das Angebot, fällt auf, dass sich die Qualität sehr unterscheidet. Während es viele Amateur-Videos gibt, die eine verwackelte Kameraführung und schlechte Lichtverhältnisse aufweisen, gibt es immer mehr Profi-Videos. Dies sind Inhalte von erfolgreichen Youtubern, die die Videos professionell in einem Studio herstellen und verbreiten.

Die «Fine Brothers» (siehe Zweittext unten) haben sich in ihrem Kanal «Fine Brothers Entertainment» auf Reaction-Videos spezialisiert. In professionell gemachten Videos, die mit viel Witz und Dynamik präsentiert werden, zeigen sie jüngeren als auch älteren Menschen ausgewählte Inhalte, um ihre Reaktionen zu filmen. Wie reagieren ältere Menschen auf den Video-on-Demand-Dienst «Netflix» oder wie reagieren Teenager auf die erste Folge der neuen TV-Serie «Fuller House»? Das Konzept geht auf. Die Fine Brothers haben über 13 Millionen Abonnenten und können im Schnitt über 44 Millionen Klicks auf ein Video verbuchen.

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Scharfe Kritik nach einer Idee
Die Fine-Brüder mussten sich mit heftiger Kritik auseinandersetzen. Mit dem Projekt «React World» wollten sie eine Community rund um Reaktionsvideos aufbauen. Wer ein solches Video aufzeichnen möchte, kann einen Lizenzierungsvertrag mit den Brüdern abschliessen. Diese helfen dann bei der Produktion und bewerben das Ergebnis. Im Gegenzug wollen sie zwanzig Prozent der generierten Werbeeinnahmen. Die Kritik seitens vieler Youtuber war, dass die Brüder das beliebte Format monopolisieren wollen. Das Projekt war vielen zu undurchsichtig. In nur wenigen Tagen verloren die Brüder viele Tausend Abonnenten. Die Fine Brothers haben auf die Kritik schnell reagiert und ihren Plan mittlerweile zurückgezogen. Die Anträge beim Marken- und Patentamt wurden zurückgezogen und Ankündigungsvideos wurden gelöscht. sd