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Eishockey

Wie «Lost in Translation»

Seit drei Monaten bereiten sich chinesische Eishockeyspieler in Magglingen und Zuchwil auf Olympia vor. Nicht nur die Sprachbarriere stellt die Trainer Alex Reinhard und Jakob Kölliker vor Probleme.

Das erste Testspiel gegen den EHC Meinisberg (2. Liga) vor zwei Monaten verlieren die Chinesen 1:11. Bild: Raphael Schaefer/a

Moritz Bill

Jeden Tag lerne sie etwas Neues, sagt Jingfan Zhou. Und sagt mit diesen wenigen Worten viel und wahrscheinlich mehr, als ihr in diesem Moment bewusst ist. Die Übersetzerin spricht in einem Satz nämlich die grösste Herausforderung an, die die Kooperation zwischen den Eishockeyverbänden der Schweiz und Chinas mit sich bringt: das Verständigungsproblem.

Kurz zur Erinnerung: Eine chinesische Delegation wohnt in Magglingen, trainiert in Zuchwil und bereitet sich mithilfe von Schweizer Know-how auf Olympia in der Heimat vor, wo man als Gastgeber am Turnier der grossen Eishockey-Nationen mittun darf (das BT berichtete).

Zurück zu Jingfan Zhou: Die Aufgaben der Übersetzerin gehen über die Öffnung der Sprachbarriere hinaus. Sie bezeichnet sich als «Brücke» zwischen der schweizerischen und chinesischen Kultur. Zhou ist prädestiniert dazu, kennt sie doch die Schweiz bereits. Fünf Jahre studierte sie Sport-Management in Magglingen. Dass im alltäglichen Leben zwei verschiedene Welten aufeinanderprallen, ist logisch. Dass auch auf dem Eis ein Kulturschock stattfindet, bedarf hingegen einer genaueren Betrachtung.


Wille ist da, Erfahrung fehlt
Alex Reinhard, zusammen mit Köbi Kölliker einer der beiden Trainer, sagt: «Wir sind mit einem Hockey-kulturellen Problem konfrontiert. Am Willen liegt es nicht. Aber sie haben von Grund auf anders trainiert, ihnen fehlt die Erfahrung, um richtig zu gewichten, was wichtig ist und was nicht.» Kölliker nickt zustimmend und fügt an: «Es braucht ein Umdenken. Daran arbeiten wir.»

Und hier kommt erneut die Dolmetscherin ins Spiel. Das klassische Übersetzen vom Deutschen oder Englischen in die chinesische Sprache ist nicht das Problem, sondern die Hockeyfachausdrücke; quasi eine weitere Sprache. Schon die Trainer haben Schwierigkeiten, zum Beispiel «Backchecking» oder «Cycling» in einfachen Worten ins Deutsche zu übersetzen. Und so lernt Jingfan Zhou eben jeden Tag einen neuen Fachausdruck, wenn sie im Training auf Schlittschuhen und mit einem Helm ausgerüstet versucht, Köllikers und Reinhards Anweisungen für die Spieler verständlich wiederzugeben. Was in der Übersetzung verloren geht, wissen die beiden Trainer nicht so genau. Es ist ein bisschen wie im Spielfilm «Lost in Translation»: In diesem übersetzt die Dolmetscherin ausführliche Anweisungen jeweils in einem einzigen Satz.


Einzeltraining statt Teamgedanke
Das Fehlen des Grund-Eishockey-Wissens ist ein strukturelles Problem. Mit 548 zählt China zwanzigmal weniger männliche Lizenzierte als die Schweiz. Junioren-Teams und -Meisterschaften existieren nicht wirklich, stattdessen leisten sich einzelne Spieler Privatcoaches und trainieren auf Eisfeldern in Shoppingcentern. Der Teamgedanke, das Zusammenspiel und die Taktik sind zentrale Aspekte, die die rund 40 Athleten erst lernen müssen.

Der Wille dazu, das betonen beide Trainer, sei durchaus vorhanden. Seit drei Monaten weilen die Chinesen in der Schweiz. Fortschritte seien zu erkennen, manche Spieler würden ihr Potenzial aber noch nicht voll ausschöpfen. Hier sprechen die Trainer in erster Linie von den zwei, drei Spielern, die im Jahr 2022 für das Olympia-Team infrage kommen könnten. «Das abzuschätzen ist aber schwierig», sagt Kölliker, «uns fehlt der Vergleich.» Das Wissen um die Stärke der in China spielenden Athleten fehlt. Eine nationale Liga gibt es nicht, die Meisterschaften sind vergleichbar mit regional aufgeteilten Kreisligen.


Zu wenig Spieler
Hier liegt eine weitere Schwierigkeit. Um einen geordneten, erfolgversprechenden Trainingsbetrieb zu gestalten, fehlt es an genügend Spielern mit dem nötigen Niveau. Nicht alle chinesischen Klubs sind bereit, ihre Schützlinge in die Schweiz zu entsenden. Die Delegation ist deshalb in zwei Teams aufgeteilt, das Team B setzt sich aus Quereinsteigern zusammen, die aus dem Feld- oder Rollhockey kommen. Diese sollen später in der Heimat als Botschafter für die Sportart auftreten, für das Olympia-Team sind sie sicher kein Thema. Im Team A figurieren wegen Verletzungen momentan nur gerade zwölf Spieler. «Wir bräuchten aber rund 20, um richtig taktisch arbeiten zu können», so Kölliker.

Die Verletzung haben sich die Spieler grösstenteils in den Testspielen zugezogen. Während hiesige «Hockeyler» von klein auf mit Blessuren konfrontiert sind, löst eine Verletzung bei den Chinesen jeweils einen Schockzustand des ganzen Teams aus, wie die beiden Trainer erfahren mussten. «Danach ging meistens gar nichts mehr», erzählt Kölliker. Ohnehin verzeichneten die Chinesen in ihren bisher 15 Testspielen oft Einbrüche, nachdem sie bis zur Spielhälfte mithalten konnten. Zum Beispiel vor einer Woche, als sie gegen die Elite-A-Junioren des EHC Biel nach zwei Dritteln «nur» 0:3 hinten lagen, ehe sie noch 0:10 untergingen. Viermal gingen sie aber auch schon als Sieger vom Eis.


Fortsetzung ist offen
So oder so: Es ist noch ein weiter Weg bis Olympia. Ob das Projekt, das noch drei Monate andauert, in einem Jahr fortgesetzt wird, ist offen und hängt wohl auch vom noch zu bestimmenden Nachfolger von Florian Kohler ab. Der abgetretene CEO von Swiss Ice Hockey war ein Fürsprecher der Kooperation mit China.

Reinhard und Kölliker wären bereit, weiterzumachen. Unter der Voraussetzung, dass mehr Spieler dabei sein müssten. Denn klar ist: Auch die beste Übersetzung bringt nichts, wenn kaum jemand zuhört.


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Über die Festtage in Gstaad
Wie es sich für einen Team-Manager gehört, spricht Zheng Xiong in den höchsten Tönen über die bisherigen Erfahrungen in der Schweiz. Die Infrastrukturen in Magglingen und Zuchwil seien toll, die Trainer auch und er erkenne, wie sich die Spieler Schritt für Schritt weiterentwickelten. Heimweh mache Xiong in der Gruppe kaum aus, einzig an das Essen, das sich zu jenem in der Heimat unterscheide, habe man sich erst gewöhnen müssen. In der ersten Woche stand «nur» viermal Reis auf dem Speiseplan, das wurde mittlerweile den Wünschen der Gäste aus dem Fernen Osten entsprechend angepasst.

Auf Ausflügen wurde den Chinesen einen Teil der Schweizer Kultur nähergebracht. Sie weilten zum Beispiel auf dem Jungfraujoch und dem Säntis und kamen auch in den Genuss eines Jodlerkonzerts.

Nun werden sie über mehrere Tage hinweg die Bergwelt erkunden können. Der Trainingsbetrieb wird temporär auf Gstaad verlegt, da die Zuchwiler Eishalle in der Altjahreswoche wegen des traditionellen U18-Turniers besetzt ist. Gezügelt wird am 24. Dezember, am Neujahrstag geht es zurück nach Magglingen. Einzig der 25. und 31. Dezember bleiben trainingsfrei – wegen der Trainer. Die Spieler feiern keine Weihnachten, das Christentum ist in China eine religiöse Minderheit. Und Sylvester fällt nach dem chinesischen Kalender erst auf den ersten Neumond zwischen dem 21. Januar und dem 21. Februar. bil

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