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Game-Review

Die Geschichte muss warten

«The Witcher 3: Wild Hunt» bietet eine riesige Welt, in der sich der Spieler verlieren darf. Jenseits der Hauptgeschichte warten Erfahrungen und Erlebnisse, die individueller nicht sein könnten.

Eine gefährliche Welt wartet auf die Spieler, Bilder: zvg

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von Simon Dick

Kein Stress. Einfach mal vom Pferd absteigen und den Sonnenuntergang geniessen. Eine kräftige Brise lässt Flora und Fauna erzittern. Bäume bewegen sich, Tiere flüchten ins Unterholz und das lange silbergraue Haar weht dem Hexenmeister Geralt ins Gesicht. Bloss kein Stress. Doch der Spieler weiss, irgendwo in dieser riesigen Welt, in diesem zerstrittenen Königreich voller Ungeheuer und machtgieriger Despoten wartet die Adoptivtochter Ciri, die gefunden werden möchte.

Doch die pulsierende Welt voller Eigenleben jenseits der Hauptdramaturgie lässt den Spieler in eine Lethargie versinken. Das Abenteuer muss warten. Die Welt da draussen will entdeckt werden. Das kostet viele Stunden, doch die Schicksale der Bewohner faszinieren. Also steigt man wieder auf das Pferd und reitet los, wohin einem das Schicksal auch tragen wird, begleitet von einer musikalischen Untermalung, die mit ihren dramatischen Klängen für Gänsehaut sorgt.

Doch die Welt ist nicht so friedlich und romantisch wie sie auf den ersten Blick scheint. Jenseits der wunderschönen Landschaften herrschen Gewalt, Korruption und Rassismus. Die Menschen leiden. Nicht nur Monster erschweren den Alltag, auch gierige Könige terrorisieren die Bewohner. Ein Krieg hat das Land gebeutelt und der nächste steht unmittelbar bevor. Inmitten dieser Krise stampft der passionierte Monsterjäger Geralt durch die Welt und wird immer mehr zum Heilsbringer. Das Videospiel als auch die Vorgänger basieren auf der erfolgreichen Romanreihe «Der Hexer» des polnischen Schriftstellers Andrzej Sapkowski, die das Fundament für ein gigantisches Universum bildet.

Der Spieler ist frei
Filme und Bücher sind lineare Erzählmedien. Der Zuschauer oder der Leser ist dem Medium ausgeliefert, er folgt Bild für Bild oder Seite für Seite einer Geschichte. Er oder sie kann sich Gedanken zum vermittelten Inhalt machen, doch er ist im narrativen Rahmen gefangen. Videospiele funktionieren ähnlich. Auch bei der interaktiven Unterhaltung ist man bestimmten, meist technischen Gesetzen ausgeliefert. Die Spielfigur kann selber gesteuert werden, doch das Korsett eines Levels, eines einzelnen Abschnitts, ist eng und die Rahmenhandlung vorgegeben. Nicht so bei «The Witcher 3: Wild Hunt». Der Spieler ist frei. Die riesige Welt lässt jeden einzelnen eine eigene Geschichte wahrnehmen. Selbst wer dem roten Faden folgt, wird ein individuelles Abenteuer erleben.

Die perfekte Illusion
«The Witcher 3: Wild Hunt» ist im Grundgerüst ein Rollenspiel, wie die vielen Konkurrenztitel auf dem Markt auch, die um Aufmerksamkeit buhlen. Doch dieses Exemplar des polnischen Entwicklerstudios «CD Projekt» gräbt tiefer. Es ist eines dieser seltenen Spiele, das die perfekte Illusion schafft, völlig frei zu interagieren. Das ist nicht nur dem gigantischen Spielfeld zu verdanken, sondern auch der immensen Lebendigkeit. Ein kleines Dorf kann schnell zum Zeitfresser werden, denn die Bewohner haben etwas zu erzählen, brauchen Hilfe oder suchen ein erotisches Abenteuer. Die grosse Geschichte muss warten. Kein Stress.

Info: «The Witcher 3: Wild Hunt» ist erhältlich für Xbox One, Playstation 4 und PC. Freigegeben ab 18 Jahren.
 

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