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Game-Review

Ein allerletztes Meisterwerk

«Metal Gear Solid 5: The Phantom Pain» ist wohl für längere Zeit das letzte Spiel aus der erfolgreichen Game-Reihe. Produzent Hideo Kojima verabschiedet sich mit viel Humor und setzt sich selber ein Denkmal.

Protagonist Big Boss ist ständig unterwegs: Der Blick ins Leere lässt es erahnen – dieser Soldat führt auch einen inneren Kampf, Bild: Keystone

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Simon Dick

Der Held liegt am Boden. Der Unterarm wurde amputiert. Die Klinik brennt. Nach neun Jahren im Koma erwacht Protagonist Big Boss und muss sogleich wieder dafür sorgen, dass er am Leben bleibt. Verfolgt von einem Feuerwesen und einem fliegenden Psychopathen mit Gasmaske gelingt ihm die Flucht. Realität oder Wahnvorstellungen? Willkommen im abgefahrenen Universum von Hideo Kojima.

Komplexe Geschichte
Um was geht es eigentlich? Auch wenn man mit der Spielreihe vertraut ist, bleibt es schwierig den Durchblick zu behalten. Das «Metal Gear»-Universum ist komplex, kompliziert und verschachtelt. Basis der Dramaturgie ist die Zeit des Kalten Krieges. In dieser angespannten Zeit dominieren verschiedene verschwörerische Gruppierungen, welche die Weltordnung verändern wollen. Mittels weit voran geschrittener Robotertechnologie sollen neue Machtverhältnisse geschaffen werden. In dieser alternativen Geschichtsschreibung agiert der Hauptprotagonist Big Boss.

Der wortkarge, murmelnde Soldat muss nach seiner Flucht neu anfangen: 1984 erlangt eine geheime Gruppe dank hoch entwickelter, äusserst ausgefeilter Robotertechnologie immer mehr Einfluss in der Weltpolitik. Bewaffnete Maschinen sollen bald in Krisengebieten einmarschieren. Big Boss weiss zu viel und muss aus dem Weg geräumt werden. Doch dieser macht sich gerade selbstständig: Zusammen mit treuen Begleitern stellt der Supersoldat mit mechanischem Unterarm eine neue Privatarmee auf, um das Gleichgewicht der Kräfte wieder herzustellen. Sein erstes Einsatzgebiet ist Afghanistan. Mit eigener Technik erledigt er eine Mission nach der anderen und gerät immer mehr in einen Strudel aus Verschwörung, Verrat und Selbstzweifel.

Der Spieler ist frei
Der jüngste «Metal Gear»-Ableger ist das erste Open-World-Spiel der Reihe. Das bedeutet, dass man die Art und Weise, wie man eine Mission angehen möchte, selber auswählen kann. Welche technischen Hilfsmittel kommen in den Reisekoffer? Darf mich eine stumme Scharfschützin oder ein Roboter ins Einsatzgebiet begleiten? Schleiche ich mich in feindliche Basen oder entscheide ich mich für die blosse Waffengewalt? Der Spieler ist frei und darf sich in diesem digitalen Sandkasten austoben.

Zusätzlich darf man auf einer umfunktionierten Ölplattform im Meer, die als Mutterbasis fungiert, den Chef spielen. Soldaten ausbilden, neue Einrichtungen bauen, fortschrittliche Waffen basteln und viele weitere Aufgaben beweisen den Perfektionismus des Spielemachers Kojima. Auch mit einem kleinen Hund kann gespielt werden, der später zum treuen Kampfbegleiter ausgebildet wird – inklusive Augenklappe.

Perfektionist Kojima ist bekannt für seine eigenwillige Art, eine Geschichte zu erzählen. Und auch in diesem Kapitel seiner Saga kommen Fans auf ihre Kosten. Die Zwischensequenzen, die die Hauptstory vorantreiben, sind technisch auf höchstem Niveau und präsentieren gewohnt ungewöhnliche Kameraperspektiven und Kamerabewegungen, wie sie nur Kojima auf den Bildschirm zaubern kann. Die Figuren beweisen wie immer eine ungeheure Charaktertiefe und wecken Emotionen beim Spieler. Auch wenn die Geschichte verwirrend ist und zum Stirnrunzeln führt, sie fasziniert durch ein Artdesign, wie es in der Geschichte der Videospiele viel zu selten vorkommt.

Auch der Humor kommt nicht zu kurz. Der Japaner streut in die ansonsten ernste Geschichte witzige Situationskomik: In einer Kartonschachtel die Dünen hinab surfen, mit einem Hightechballon Personen, Tiere und Objekte aus den Krisengebieten katapultieren oder frisch gemachte Pferdeäpfel auf die Strasse verteilen, um heranfahrende Jeeps aus dem Verkehr zu ziehen, sind nur drei  Beispiele aus dem reichen Fundus des verrückten Spieldesigners.

Ein digitaler Zeitfresser
«Metal Gear Solid 5: The Phantom Pain» ist riesig, kurios und ein digitaler Zeitfresser mit einer musikalischen Untermalung, die unter die Haut geht. Die Mischung aus Schleichabenteuer, kruder Science Fiction und alternativer Geschichtsstunde ist dem 52-jährigen Meister gelungen. Zwar braucht es ein paar Stunden, bis die Story ihr volles Potenzial entfalten darf, danach befindet man sich aber im Gamer-Himmel und erfährt die grosse virtuelle Freiheit. Vorausgesetzt, man hat die üppige, komplexe Steuerung verinnerlicht.

Es ist wohl Kojimas letzter Tanz in diesem eigenwilligen Universum. Nachdem er seinen Abgang bei der japanischen Spielefirma Konami bekannt gab, schrie die Fangemeine im Internet laut auf. Über die genauen Gründe schweigen beide Parteien. Das Ende der Zusammenarbeit, das Ende der langlebigen «Metal Gear»-Reihe unter Kojimas Fittichen, die letzte Reise in weitläufigen Arealen tun dem Spielerherz weh – auch wenn man mehr als dreissig Stunden braucht, um den Abspann zu sehen.

«Metal Gear Solid 5: The Phantom Pain» ist erhältlich für Playstation 4, Playstation 3, Xbox One, Xbox 360 und PC. Freigegeben ab 18 Jahren.

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